: Die Not und das letzte Butterbrot
Nehmer- und Geberländer stritten gestern vor dem Bundesverfassungsgericht mit spitzfindigen Wortinterpretationen um den Länderfinanzausgleich ■ Von Christian Rath
Karlsruhe (taz) – Manche Worte sind dehnbar wie ein Kaugummi und machen das Leben kompliziert. „Angemessen“ ist so ein Beispiel. Laut Grundgesetz soll der Länderfinanzausgleich „angemessen“ sein. Kein Wunder, dass bei der gestern beendeten Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht heftig diskutiert wurde, was dieser Begriff meint.
Die Südländer Bayern, Baden-Württemberg und Hessen setzen vor allem auf ein früheres Karlsruher Urteil, das die „Nivellierung“, also Einebnung, der Landesfinanzen verbietet. Wo aber fängt diese Nivellierung an? Derzeit hebt der Finanzausgleich auch die schwachen Bundesländer auf mindestens 95 Prozent der durchschnittlichen Finanzkraft. Der Bund stockt dies durch Ergänzungszuweisungen auf 99,5 Prozent auf. Die Südstaaten halten dies für nicht mehr „angemessen“.
Fritz Ossenbühl, der Vertreter Thüringens, hielt dagegen, der Begriff „angemessen“ müsse „situativ“ ausgelegt werden: „In Notzeiten muss das letzte Butterbrot geteilt werden. Wenn es besser läuft, dann können auch größere Unterschiede ,angemessen‘ sein.“ Etwas weniger prosaisch argumentierte Joachim Wieland. Der Vertreter Bremens, Niedersachsens und Schleswig-Holsteins erinnerte an den Verfassungskompromiss von 1969: „Damals war ein Finanzausgleich auf 95 Prozent des Durchschnitts vereinbart worden. Als Gegenleistung wurde die eher willkürliche Verteilung der Steuern nach dem ,örtlichen Aufkommen‘ akzeptiert, die die heute ,reichen‘ Länder bevorzugt.“ Und weil das Grundgesetz darüber hinaus ausdrücklich Bundeszuweisungen vorsehe, so Wieland, stehe die derzeitige Situation voll im Einklang mit der Verfassung.
Die Südländer haben dem wenig mehr entgegenzusetzen als das Postulat „Leistung muß sich wieder lohnen“. Ob aber die ungleiche wirtschaftliche Prosperität der jeweiligen Landespolitik geschuldet ist, blieb umstritten.
Bayern und Baden-Württemberg versuchten sogar, die früher bereits in Karlsruhe akzeptierte 95-Prozent-Marge zu kippen. Sie wollen von ihrer überdurchschnittlichen Finanzkraft generell nur die Hälfte abgeben. Dieser „Halbteilungsgrundsatz“ wurde von den Juristen der Nehmerländer mit Spott quittiert. „Dann müsste der Süden aber auch wirklich die Hälfte seines Haushalts abgeben“, provozierte Wieland.
Ein Urteil in dem Verfahren, bei dem es auch um zahlreiche, oft milliardenschwere Detailfragen ging, wird im Herbst erwartet.
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