: Hamburg scheut jeden Vergleich
■ Selbst nur symbolische Entschädigungszahlung für NS-Zwangsarbeiterin abgelehnt
Eine Woche vor Fristablauf scheint die Entscheidung gefallen zu sein: Der Hamburger Senat wird die Polin Stanislawa R. wohl nicht für die Zwangsarbeit entschädigen, die sie unter dem NS-Regime hier leisten musste. Zwar bestätigt der Senat noch nicht, dass er den vom Arbeitsgericht am 30. August angeregten Vergleich ablehnen werde. Sprecher Ludwig Rademacher räumte jedoch ein: „Hamburg will alles vermeiden, was Auswirkungen auf Bundesebene haben könnte.“ Damit würde der Senat sich einer Forderung des Bundesfinanzministeriums fügen, keinen Vergleich abzuschließen, weil das Sig-nalwirkung auf den Bund entfalten könnte.
Dass ZwangsarbeiterInnen mehr als fünfzig Jahre nach Kriegsende vor dem Arbeitsgericht klagen, ist für sie eine ganz neue Chance. Bisher hatten RichterInnen sich wegen des Fehlens von Arbeitsverträgen für nicht zuständig erklärt. Erstmals hatte im Mai das Arbeitsgericht Nürnberg einen Fall angenommen, im August auch das in Hannover. Die Klage von Stanislawa R. ist die erste vor dem Arbeitsgericht in Hamburg.
Das hatte dem Senat eine Frist bis Ende dieses Monats gesetzt, um zu entscheiden, ob er im Vergleich 13.000 Mark zahlt. Damit würde ein aufwendiges Gerichtsverfahren vermieden, dessen Ergebnis zum einen offen wäre und das sich zudem während der Dauer des Verlaufes selbst erledigen könnte. Stanislawa R. ist 72 Jahre alt und krank.
Vor wenigen Tagen war noch gemunkelt worden, dass Hamburg sich auf eine schnelle Zahlung einlassen wolle. Allerdings schien dem Senat selbst der Betrag von 13.000 Mark zu hoch. „Um so rasch wie möglich zu helfen“, so Mitte September die Staatsrätin der Senatskanzlei, Gitta Trauernicht (SPD), gebe es Überlegungen, der Rentnerin 5000 bis 6000 Mark auszuzahlen.
Dann kam der Brief des Bundesfinanzministeriums. Das warnte, Hamburg solle der Bundesregierung nicht ins Handwerk pfuschen. Die fürchtet, dass ein Vorpreschen alle anderen Verhandlungen über die Entschädigung von Zwangsarbeitern zunichte machen und Summen präjudizieren würde, die weder Industrie noch Staat zu zahlen bereit seien.
Auf Bundesebene wird seit Monaten über die Errichtung einer Stiftung verhandelt, die Entschädigungen für ehemalige ZwangsarbeiterInnen in öffentlichen Betrieben auszahlen soll. Daneben befindet sich eine Industriestiftung in Gründung. Schleppend. Denn die Unternehmer fürchten, doppelt zahlen zu müssen: an die Stiftung einerseits und durch private Klagen unmittelbar an die ehemaligen ZwangsarbeiterInnen andererseits.
Elke Spanner
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