piwik no script img

Spaßguerilla ist in the House!

■ Ohne Einschränkung: Die HipHop-Formationen „Deichkind“ und „Mellowbag“ überzeugten im Schlachthof mit Musik jenseits von Gangsta- und Ghettopose

Erfreulicherweise haben deutschsprachige HipHopper endlich gemerkt, dass Gangsta- und Ghettopose ihnen nicht gut zu Gesicht steht. Vor allem, weil Ghettos hier Mangelware sind, die leere Attitüde folglich kaum mehr als peinlich wirkt. Der Name „Deichkind“: Kontrapunkt zum Ghetto-Boy-Image. Die drei Rapper von „Deichkind“ legen, wie jüngst im Schlachthof zu bestaunen, einen amüsanten Flow über die meist ziemlich harschen Beats, branchenunüblich in gelbes Ölzeug gewandet. Lyrics und Appearance sind nah am Publikum. Niemand rappt hier unglaubwürdig von harter Kindheit; und gedisst wird eher selten. Statt dessen gibt es vom Raggamuffin-Stakkato bis zum Freestyle so ziemlich alles zu hören. Zeitgemäße Lyrik. „Weil es deine Profession ist, ob Kfz oder Showbiz...“

Die Dekonstruktion des Virtuosentums beim Siegeszug elektronisch grundierter Musik wird geerdet. Die Musikerkarriere gleichberechtigt in alle möglichen anderen Lebensentwürfe eingereiht. Dabei wirkt nichts pädagogisch, eher schon mit einer Menge Spaß versetzt. Spaß ist in diesem Fall Rhythmus. „Deichkind“ packen die deutsche Sprache beim Schopf.. Das funktioniert; aus allem und jedem wird der Rhyme herauspräpariert.

Schon bei „Deichkind“ steht die halbe Mellowbag-Frontline mit auf der Bühne. Angenehm unaufgeregte Fraternisierung. Hier wird der Vorband auch nicht,wie sonst üblich, der Sound Richtung grottenschlecht downgemixt. Umgekehrt gibt's gegen Ende einen Freestyle, zu dem sich Mellowbag die Deichrapper dazuholen. Wenn sich die Mellowbag-Sängerinnen nach dem Gastauftritt ins Publikum gesellen, sind sie die gleichen Mädchen, die da sowieso stehen. Alles ganz normal.

Durch die Kooperation mit der grell ins mediale Rampenlicht geratenen Band „Freundeskreis“ sind Mellowbags keine Unbekannten mehr. Tyron und Akanni, die beiden Bandrapper, sind englischsprachig. Und gut. Tyron steht eher für soulig angehauchte Slow-Tracks. Akanni überzeugt mit ultraschnellen Battlelyrics, die er aber punktgenau einen Gang zurückschalten kann.

Musikalisch ist Mellowbags Konzept breit angelegt. Viel R&B klingt heraus, aber auch jazzy Samples und sehr funkige Basslines. Alles sehr fett. Das geht im Konzert besser auf, als die letzte Platte „Bipolar Opposites“ hat zuvor vermuten lassen. Nicht zuletzt, weil der Mixer die Beats herunterzieht, um Raum zu schaffen. Für schöne kleine Scratch-Exkurse von DJ B-Side, für des Drummers vertrackte Ausflüge auf dem HiHat, für einen akzeptablen Soul von Sängerin Cecile. Spaßguerilla is in the House. In punkto Bühnenpräsenz kann man Akanni kaum etwas vormachen. Who the Fuck is Fanta 4?

Ein langer und lustiger Abend. Und alle war'ns zufrieden. Ich kann mir mindestens hundertfünfzig sinnlosere Dinge vorstellen, die Jugendliche zwischen 14 und 40 an einem kühlen Donnerstagabend anstellen könnten. Aber da ist der Text auch schon zu Ende. Make some noise for Mellowbag. Applaus. Tim Schomacker

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen