: Gekappte Spitzen und zerfetzte Melonen
Probiert das nicht zu Hause aus: Die Goldrausch-Künstlerinnen jagen den Mythos vom schöpferischen Künstler durch die Mulinex. In den Edison-Höfen verteilen sie den Alltag auf Schonräume, Geheimlager und andere Interessenfelder ■ Von Katrin Bettina Müller
Die erste Glühbirne, die in Deutschland nach dem Edison-Patent hergestellt wurde, kam aus der Schlegelstraße in Berlin-Mitte. Dieser Pioniergeist, findet Anne-Marie Freybourg, passt zum Goldrausch-Projekt. Seit sie 1989 das Professionalisierungsprogramm für Künstlerinnen gegründet hat, haben 170 Teilnehmerinnen die Fortbildung besucht.
Der zehnte Kurs endet mit der Ausstellung „X-ten“in den Edison-Höfen, die mit Locations wie „Loop“ und „Parabolica Spaces“ seit zwei Jahren als viel beachteter Ort selbst verwalteter Kunst gelten. Hier gehört die Organisation von Ausstellungen ebenso zum Produktionsbegriff wie das Werk. Goldrausch ist dort Gast in zwei Hallen des Projektentwicklers Copro, der eine Halle demnächst an das Brasilianische Kulturinstitut vermieten kann.
Die zweite Halle dagegen, die noch der Sanierung harrt, ließ die Künstlerinnen erst mal schlucken. So ins Herz der Off-Kultur zu ziehen hatten sie sich eigentlich nicht vorgestellt und mehr auf einen Auftritt auf der Messe gehofft. Mit solchen Diskrepanzen der Erwartung umgehen zu lernen gehört nicht zuletzt zu den Lernzielen des Kurses.
In ihrer Kunst jedenfalls zeigen sich viele der 15 Künstlerinnen gewitzt gegenüber den Härten des Alltags. Praktisch zu Leibe rückt ihnen Christine Kriegerowski, die in „Du und die Gefahr“ mit Videos und Comics vor Unfällen im Haushalt warnt. Im Katalog vertieft sie das Thema: Da rührt das Foto eines Gummihandschuhs mit gekappten Spitzen schneller an den Schmerz als ein zerlegter Hai.
Mit Kittelschürze und Lockenwicklern macht sie sich am Bild des Künstlers als Experimentator zu schaffen, und mit Wiederbelebungsversuchen an einer gemetzelten Melone transformiert sie den Topos vom Erlöser. Was zur Zeit in der so genannten Jahrhundert-Ausstellung „Die Gewalt der Kunst“ im Alten Museum als Mythos vom schöpferischen Genie noch einmal erzählt wird, gerät hier in die Küchenmaschine.
Den unspektakulären Tatort des schönen Heims hat auch Michaela Müller gewählt. Sie zeigt nach individuellen Wünschen gefertigte Regale, in denen sich Bücher in „Schonräume, Geheimlager und Interessenfelder“ ordnen lassen. Ihre Möbel sind Handlungsangebote und zugleich Porträts der Auftraggeber. In einem Archiv „was ich mag“ sammelt sie zudem Geschmacksporträts. Mit der Propagierung des Kriteriums des Geschmacks, das wie ein Dolchstoß in den Rücken jedes Kunsthistorikers zielt, entzieht sie sich herkömmlichen Kategorien der Kritik und setzt den Nutzer der Kunst an die Stelle des Autors.
Nach Einbeziehung der Kunst in die Lebenswirklichkeit sehnt sich auch Birgit Schlieps. Ihre Skulptur erinnert an ein Lager von Baumaterialien, das dazu bestimmt ist, eine neue räumliche Realität zu werden.
Trotz der Thematisierung der alltäglichen Praxis bleibt es unter Künstlern oft ein Tabu, über die Herkunft ihres Lebensunterhalts zu reden. Der Spagat zwischen Job und Kunst hat auch Diskussionen dieser Goldrausch-Gruppe geprägt. Für einige bedeutete die Entscheidung für eine zweigleisige Strategie Erleichterung: Ohne den Druck, die eigene Kunst auch vermarkten zu müssen, können sie freier arbeiten. Aus den Biografien allerdings bleibt dies ausgeklammert.
Nur eine Malerin war diesmal unter den Künstlerinnen. Der Beschäftigung mit dem realen Raum aber entgeht auch sie nicht. Ute Haecker hat begonnen, Segmente aus ihren Bildern herauszusägen und durch diese Sehschlitze Werk und Umwelt zu verzahnen. In der Serie „Storyboard“ gehen die Aussparungen in schwarze Konturen über, sodass negative und positive Zeichnung ein grafisches Netz bilden. Malerischer als diese konzeptuellen Bilder muten die Fotos von Ulrike Feser an, die mit einem DAAD-Stipendium Landschaften in Hawaii fotografiert hat. Man glaubt es kaum, dass diese Bilder nicht am Computer entstanden sind, so künstlich wirkt das Licht, so verfremdet die Farben.
In einer Lobby kann man im Katalogpaket stöbern, Gespräche zwischen Marisa Maza und Sabeth Buchmann über Körperbilder und die Konstruktion von Geschlechtsidentitäten lesen, Heike Hammans Spielregeln zu entschlüsseln versuchen oder frühere Videos von Kirsten Johannsen kennen lernen. Wie immer bei Goldrausch erhält man durch die Kleinkunst der Kataloge eine zweite Chance, sich mit dem zu beschäftigen, was in der Ausstellung selbst vage bleibt.
Bis 17. Oktober, Di – So, 14 – 20 Uhr, Edison-Höfe, Schlegelstraße 26/27.
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