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Abschiedsstimmung im Abgeordnetenhaus

■ Die letzte Sitzung vor den Wahlen war für viele Mandatsträger der letzte im politischen Zirkus. Das Hohe Haus wird nach dem 10. Oktober nur noch 150 statt bisher 250 Sitze haben

Es war der Abend des 22. September, doch alle hatten bereits einen anderen Tag im Kopf. 10. Oktober, 18.01 Uhr, das war die entscheidende Tages und Uhrzeit für Senatoren, Abgeordnete und Journalisten, als das Berliner Landesparlament am Donnerstagabend zur 68. und letzten Sitzung dieser Wahlperiode zusammenkam.

Viele Parlamentarier brauchen sich für den Wahltermin nicht mehr zu interessieren: Sie treten nicht mehr an. Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Klaus Franke (CDU), wird nach 35 Jahren als Abgeordneter kein Mandat mehr übernehmen. Genau wie Volker Hassemer (CDU), früher Senator für Stadtentwicklung. Der lebt künftig nach dem Prinzip: „Es gibt auch ein politisches Leben außerhalb des Parlaments.“ Nach einem verlorenen Kampf um einen der vorderen Listenplätze kehrt auch die bündnsigrüne Abgeordnete Sybille Volkholz, einst Schulsenatorin unter Walter Momper, dem Parlament den Rücken.

Auch die einstige Grüne Ida Schillen, seit dem Kosovo-Krieg fraktionslos, kann sich nur wenig Hoffnungen machen, mit ihrer „Demokratischen Liste“ wieder ins Parlament zurückzukehren. Einsam wie immer saß die Einzelkämpferin in der letzten Reihe, weit hinter der CDU-Fraktion. Eine große Rede über ihr Lieblingsthema, das Berliner „Kriegskabinett“, hielt sie in der letzten Sitzung nicht mehr.

Bei anderen Politikern dagegen wird es erst am Wahlabend lange Gesichter geben. Schließlich wird die Zahl der Abgeordneten von 250 auf 150 verringert – da muss selbst der wahrscheinliche Wahlsieger CDU Federn lassen. Mit entsprechend harten Bandagen hatten die Christdemokraten um aussichtsreiche Wahlkreise und Listenplätze gekämpft.

10. Oktober, 18.01 Uhr: Zu diesem Zeitpunkt wird sich das politische Schicksal des SPD-Chefs Peter Strieder entscheiden. Mit flotten Sprüchen versuchte der Umweltsenator, die Journalisten aufzuheitern: Die Sozialdemokraten könnten als „Bungee-Partei“ so schnell nach oben springen, wie sie gefallen sind. Doch ist das Ergebnis so desaströs wie erwartet, wird es nicht nur für Strieder eng. Auch Christdemokraten sorgen sich, dass ein quälender Selbstfindungsprozess die SPD in die Oppostion führen könnte. Dann stünde die Union ohne Koalitionspartner da. Eigentlich, so wurde gewitzelt, müsse CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky am Wahltag heimlich bei der SPD sein Kreuz setzen.

Im Plenum zeigten sich die Sozialdemokraten erstaunlich zahm. Zwar wetterte der Abgeordnete Frank Ebel in der Debatte über den Sturm aufs israelische Konsulat heftig gegen CDU-Innensenator Eckart Werthebach – doch missbilligen mochte die SPD weder den Senator selbst (PDS-Antrag) noch dessen Verhalten (Antrag der Grünen).

Zwischendurch sorgte die Wirtschaftswoche für Gesprächsstoff. Das Blatt hatte just am Tag der Parlamentssitzung das Engagement des SPD-Spitzenkandidaten Walter Momper für das schwedische Möbelhaus Ikea unter die Lupe genommen. Der Name Momper wäre sonst kein einziges Mal gefallen. Und wann wird die politische Laufbahn Mompers beendet sein? Das scheint keine Frage mehr zu sein: Am 10. Oktober, 18.01 Uhr. Ralph Bollmann

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