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Es kostet nur die eigene Jugend

Tennistalente nehmen viel auf sich, um Deutschland eines Tages vor dem Davis Cup-Abstieg retten zu können. Zu Besuch bei der Nick-Bollettieri-Schule im badischen Bühl   ■  Von Rüdiger Barth

Zehn Sekunden im Leben des Dennis Betzholz (14): Rückhand, Vorhand, zack, zack, der Spurt ans Netz, schrapp, schrapp, schrapp, der Volley: plopp. Drei Schläge von über tausend am Tag; drei von, sagen wir, einer halben Million im Jahr. „Talente wie ihn kann ich in die Weltklasse bringen“, behauptet Hartmut Biederbeck (56), der die Nick-Bollettieri-Tennisakademie in Bühl besitzt.

Nachwuchs ist nötig: An diesem Wochenende spielen die deutschen Tennisprofis in Rumänien gegen den Abstieg in die Zweitklassigkeit. Aber: „Das Problem ist, kaum eines der Kinder hält durch“, sagt Biederbeck. Zehn Jahre Zeit, eine Million Mark, das koste es, Profi zu werden. Und natürlich kostet es die eigene Jugend.

Wie fühlt man sich so als Bollettieri-Schüler? Hinter tausend Schlägen keine Welt? „Nee, mir geht's supergut“, sagt Betzholz. Die Akademie liegt am Rande Bühls, einer 30.000-Einwohner-Stadt zu Füßen des Schwarzwalds. Idyllisch ist es hier, würden die sagen, die vom Leben mehr erwarten als nur roten Sand an den Schuhen. In Bühl stellt Uhu seine Flinken Flaschen her; seit sieben Jahren produziert Biederbeck Tennisprofis, genauer: Er will sie produzieren. Immerhin steht die Kroatin Lana Miholcek (18) inzwischen auf Platz 448 der Weltrangliste.

Die Philosophie seiner Schule sei, sagt Biederbeck, die Jugendlichen „vom Benehmen her als Elite auszubilden“. Der Ingenieur und Tennistrainer ist ein Macher – nicht ganz ohne Macken, wie sie in Bühl sagen. Er kaufte das Areal Ende der Achtziger, investierte 3,7 Millionen Mark, eröffnete 1992 die Akademie und hegt ehrgeizige Ausbaupläne. Bis zu 100.000 Mark kostet ihn die Lizenz pro Jahr, dazu muss er die drei Trainer aus Florida finanzieren.

Das Prinzip Bollettieri heißt: sechs Stunden täglich trainieren, vierundzwanzig Stunden täglich diszipliniert leben. Manche nennen den 68-jährigen Tennisguru Bollettieri einen Schleifer, weil er sich seine Sonder-Pädagogik bei den US-Elitesoldaten Green Berets zurechtgezimmert hat, John McEnroe hält ihn für einen „Hochstapler“. Aber er hat Courier, Seles, Agassi groß und Becker 1995 noch einmal heiß gemacht. Wen wundert's also, dass „sein Name unglaublich zieht“, wie Biederbeck sagt, sobald Eltern in ihrem Kind ein Jahrhunderttalent entdeckt zu haben glauben.

Die Camp-Psychologie erinnert an die Rhetorik von Unternehmensberatern: „Positiv denken, dann erreichst du jedes Ziel.“ Und wer nicht spurt? „Wer nicht mitzieht, macht Froschsprünge, wenn es sein muss den ganzen Tag“, sagt Trainer Caesar Castineda. Entspannt lehnt er beim Vormittagstraining auf einem Stuhl und korrigiert leise, lobt leise. „Wir sind wie eine große Familie.“ Eine Familie allerdings, in der Alkohol, Drogen, Schokolade und Sex tabu sind und um 22 Uhr das Licht ausgeht. Eine Familie, in der die Sprösslinge Tennis atmen.

Derzeit besuchen 15 Jugendliche zwischen 12 und 21 Jahren das Internat. Nur vier Jungs sind dabei, einer davon ist eben Dennis Betzholz aus Oberhausen, schon 1,75 Meter groß und semmelblond. Seit zehn Wochen ist er in der Akademie, und noch immer ist „seine Beinarbeit miserabel“, krittelt Fitnesstrainer Jose Pelaes, als wäre das verwunderlich bei einem 14-Jährigen, der wächst wie der Teufel. „Der Junge muss lernen, dass die Beine die Basis sind.“

Dennis lächelt, er weiß es ja. Als er 1985 auf die Welt kam, reichte einem gewissen 17-Jährigen noch Haurucktennis zum Wimbledon-Sieg. Heute sind alle Rivalen kräftig, und schnell dazu. „Jeden Ball spielen, als wäre er der Letzte. Das ist Nicks Idee“, sagt Castineda. Das „System 5“ teile den Platz in fünf Zonen auf, und jede dieser Zonen trainiere man gezielt. „Faszinierend“, sagt Dennis. Aber Familie, Freunde, fehlen ihm die nicht? „Mein Wille ist größer als mein Heimweh“, sagt er und grinst. „Man hat ja keine Zeit zum Nachdenken, so groß ist der Stress.“ Dann schickt ihn Jose fort, keine Interviews mehr jetzt, bitte, die Nudeln warten.

Betzholz ist zu Hause Bezirksmeister, gehört in seinem Jahrgang zu den besten hundert Deutschen. Kein Ausnahmetalent also, aber Biederbeck sagt: „Er hat Humor und ist aufrichtig. Das sind beste Voraussetzungen.“

Was für Menschen sind das, die ihren Sohn in die Fremde schicken: geldgierige Tennisverrückte? Im fernen Oberhausen lacht Oswald Betzholz, der Vater: „Mit Tennis hatten wir ja nie etwas am Hut.“ Klaudia, die Mutter, gibt zu, „dass es schon weh tut. Aber es ist ein schönes Gefühl, ihm diese Chance zu ermöglichen.“

Die Chance kostet Familie Betzholz jährlich 67.000 Mark für das Internat und weitere 13.000 für Turniere. „Länger als ein Jahr geht das nicht aus eigener Kraft“, sagt Oswald, der technischer Angestellter ist. Also hat man eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegründet, „alles seriös“, und schon drei Investoren gewonnen, die steuerbegünstigte 6.000 Mark pro Jahr zuschießen und auf zukünftige Preisgelder hoffen.

Später keucht die „Risikoinvestition“ auf dem Ergometer. Jose, der stets freundliche Jose steht daneben. „Schreiben Sie ruhig, dass wir noch Sponsoren suchen“, sagt Dennis keck. Ihm mache das nichts aus: Spekulationsobjekt sein. „Ich will ja selbst Erfolg.“

Auch Biederbeck bietet Finanzierungsmodelle an. Steigt der Spieler aus dem Vertrag aus, gilt die Hilfe als Darlehen, statt des Ruhms erntet das Talent Schulden. Die Fluktuation sei sehr hoch, seufzt Biederbeck. Vermutlich halten viele die Kasernierung einfach auf Dauer nicht aus. In den USA gelten die Tennisfabriken als soziale Spannungsfelder, in denen die Kinder vereinsamen.

In Bühl hingegen gibt man sich bewusst nestwarm. Das macht Sinn: In der Stadt haben die Spieler keinen Anschluss, weil sie im Camp wohnen, obendrein ist ihr schulischer Ruf nicht der beste. Horst Schug, Oberstudienrat am nahen Windeck-Gymnasium, ist sich mit seinen Kollegen einig: „Die sind nicht faul, viele können aber einfach nichts“, sagt er. „Ihr Bildungsniveau ist eine Katastrophe.“ Biederbeck gibt zu, dass „die Zusammenarbeit mehr schlecht als recht ist“.

Dennis Betzholz kümmert das wenig. Erst mal in Latein aufholen, sagt er, später dann will er unbedingt Abitur machen. „Auch wenn die das hier auf der Akademie nicht so gerne sehen“, sagt er. „Für den Fall aber, dass es nicht klappt, das mit dem Profi.“

Zitat:„Deren Bildungsniveau ist eine einzige Katastrophe“, sagt Oberstudienrat Schug über die angehenden Tennisprofis

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