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■ Bei der Herbsttagung von IWF und Weltbank an diesem Wochenende in Washington geht es um Reformen. Die zentrale Frage lautet: Wie können privates Kapital und nachhaltige Entwicklung zueinander finden  Von Katharina KoufenSchöne „neue Finanzarchitektur“

New York, London, Tokio – wenn es um Börsen und Aktienkurse geht, denkt man an Herren mit Anzug und Schlips, denen das Handy geradezu am Ohr zu kleben scheint. Auf den ersten Blick scheint die Börse eine Welt für sich zu sein, eine künstliche Welt hinter Spiegelglas, die wenig mit der realen Welt draußen zu tun hat. Was passiert schon, wenn so eine weiße Aktienkurve plötzlich steil nach unten zeigt, außer dass die Herren Schweißperlen auf der Stirn haben und „Verkaufen!“ in ihr Handy schreien? Kursstürze und Börsencrashs haben jedoch fatale Folgen: Nicht in New York, Tokio oder London, sondern in Brasilien, Russland oder Südostasien. Dort sind im Herbst 98 quasi über Nacht 20 Millionen Menschen verarmt.

Seitdem wird der Ruf nach Reformen des internationalen Finanzsystems immer lauter. Auch bei der Herbsttagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF), die heute in Washington beginnt, sollen Reformvorschläge im Mittelpunkt stehen. Die beiden großen Finanzinstitutionen stecken in einer Identitätskrise. Längst kommt die Kritik nicht mehr nur von Umwelt- und Entwicklungshilfeverbänden, sondern auch aus Finanzkreisen. Vorbei die Zeiten, als IWF und Weltbank sich der Zustimmung der etablierten Wirtschaftslehre sicher sein konnten. Vorbei die Zeiten, als der Vorwurf, die Strukturanpassungsprogramme seien kontraproduktiv und förderten die Verarmung breiter Schichten, nur von linken Kritikern kam.

Spätestens seit letztem Herbst ist deutlich geworden, dass das gewohnte Konzept „Liberalisieren, deregulieren, privatisieren“ die Kapitalmärkte der Krisenstaaten nur noch anfälliger macht. „Börsencrashs wie letzten Herbst in Asien werden durch den massiven Abfluss von privatem Kapital ausgelöst, wenn die Anleger plötzlich das Vertrauen in ein Land verlieren“, sagt der indonesische Vertreter der UN-Entwicklungsorganisation UNDP, Ravi Rajan. „Wegen der zunehmenden Bedeutung privaten Kapitals entsteht so eine neue Art von Krisen.“

Ganz oben auf der Tagesordnung der IWF-Konferenz steht deshalb die Frage: Wie kann man – auch kurzfristig – privates Kapital und das Ziel nachhaltiger Entwicklung zusammenbringen? Anleger orientieren sich beim Aktienkauf schließlich nicht an entwicklungspolitischen Zielen, sondern an der voraussichtlichen Rendite ihrer Geldanlage. Die fällt umso lukrativer aus, je höher das Risiko ist und je dringender das Kapital benötigt wird. Länder, in denen die industrielle Entwicklung noch wenig fortgeschritten ist, benötigen Kapital. Gleichzeitig sind ihre Rahmenbedingungen für Investitionen oft prekär: Sie bieten einen hohen Preis für das Geld ausländischer Anleger, also hohe Zinsen. Damit die Investoren aus solchen Engagements im Krisenfall schnell aussteigen können, müssen diese kurzfristig kündbar sein. Hohe Gewinne, kurze Kündigungsfristen – das sind angenehme Bedingungen für die Geldanlage. Sie sind aber auch der Nährboden für Finanzcrashs und als Grundlage für eine nachhaltige Entwicklung nicht geeignet.

Aus Brasilien wurden im Januar diesen Jahres innerhalb weniger Stunden mehr als 1,1 Milliarden Dollar abgezogen. Gleichzeitig stiegen zwar die Zinsen in schwindelerregende Höhen, doch das konnte die Kapitalflucht nicht mehr bremsen. Der brasilianische Real verlor an Wert, die Zentralbank musste die Währung abwerten. Wegen des Kaufkraftverlusts gingen die Importe zurück. Das traf die Nachbarländer, die Brasilien als Markt für ihre Exporte brauchen. Die Folge: ein konjunktureller Einbruch in der gesamten Region.

New Financial Architecture heißt das Zauberwort der IWF-Tagung. Eine neue Finanzarchitektur soll Finanzkrisen in Zukunft verhindern. Die Frage ist nur: Wie? Kapitalmarktkontrollen einzuführen widerspräche dem Trend zu mehr Liberalisierung. „Das wäre aus der Sicht des Währungsfonds völlig paradox“, meint Kevin Watkins von der Entwicklungshilfeorganisation Oxfam.

Stattdessen wollen die Tagungsteilnehmer darüber diskutieren, wie weltweit funktionstüchtige und transparente Bankensysteme errichtet werden können und ob es sinnvoll ist, die Währungen der „aufstrebenden Märkte“ an den Dollar zu koppeln. Letzteres hat zwar bei der Inflationsbekämpfung in Ländern wie Argentinien schon wahre Wunder gewirkt, andererseits jedoch hohe soziale Kosten verursacht, weil Zinssenkungen oder die Notenpresse als Motor bei wirtschaftlichen Flauten verboten sind.

Es bleibt also abzuwarten, ob der Begriff der New Financial Architecture in Washington mit Inhalt gefüllt wird. Vielleicht wird der Ruf nach Reformen aber auch in dem Maße wieder leiser, wie sich die Aktienkurse stabilisieren.

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