: Die Märchenstunde der Atomkraft-Lobby
Obwohl Atommeiler wenig Treibhausgase erzeugen, schaden sie dem Weltklima mehr, als sie nützen ■ Von Matthias Urbach
Berlin (taz) – Regelmäßig auf den internationalen Klimagipfeln kriegt die Atomindustrie Oberwasser. Dann fahren ihre Vertreter auf mit großen Schautafeln, um den Delegierten ihre ultimative Lösung für das Klimaproblem zu präsentieren: Atomkraft. Die insgesamt 430 AKWs sparten weltweit 1,8 Milliarden Tonnen Kohlendioxid im Jahr ein im Vergleich zum herkömmlichen Energiemix, heißt es da. Das wäre mehr als doppelt so viel, wie Deutschland von diesem Treibhausgas produziert.
Ihre Argumentation überzeugt manche Regierung: Japan etwa will seine Klimaschutzverpflichtung vor allem durch den Neubau von AKWs erfüllen, und auch Spaniens Regierung erklärte Ende 1998, den Neubau von Reaktoren für den Klimaschutz zu erwägen.
Auch in Deutschland ist die Atomlobby stolz auf ihren Beitrag zum Klimaschutz. „Die Kernenergie kann das Klimaproblem zwar nicht beseitigen“, sagt Karl Bauer, Bereichsleiter vom Deutschen Atomforum. „Aber jede Kilowattstunde, die mit Kernenergie erzeugt wird, spart Kohlendioxid.“ Allein 150 bis 160 Millionen Tonnen würden die 19 deutschen Meiler im Jahr sparen – ein knappes Fünftel der deutschen Klimabelastung. Ist der Ausbau der Atomenergie also der Königsweg für den Klimaschutz? Müssen wir uns ein stabiles Klima mit radioaktivem Müll erkaufen?
Keineswegs. Denn die Atommeiler mögen zwar klimafreundlich sein, sie sind aber auch teuer. Wer das Klima möglichst stark schonen möchte, sollte aber die Möglichkeit wählen, bei der Kohlendioxid für wenig Geld vermieden wird. „Der Neubau von AKWs ist sicher eine teurere Klimaschutzvariante als das Energiesparen oder moderne Gaskraftwerke“, urteilt etwa Stefan Thomas, Energieexperte am Wuppertal-Institut. Bereits 1988 wiesen Umweltforscher vom Rocky Mountains Institute in Colorado erstmals daraufhin, dass nach ihren Schätzungen für dasselbe Geld mindestens zweieinhalbmal mehr Kohlendioxid durch Energiesparen vermieden werden könne als durch neue Atommeiler.
Nun unterliegen solche Vergleiche gewissen Unsicherheiten. Wie teuer das Einsparen von klimaschädlichen Kraftwerken ist, variiert stark mit den betrachteten Alternativen. Doch stets schneidet die Atomkraft schlechter ab. Das Öko-Institut kam 1996 im Auftrag des hessischen Umweltministeriums sogar zu dem Schluss, dass der Klimaschutz mit Akws drei- bis viermal teurer ist als mit einem „Mix von Alternativen – von Stromeinsparen und Kraft-Wärme-Kopplung bis zu Biomasse und Wind“. Fazit: „Anstatt – wie immer behauptet – 150 Millionen Tonnen Kohlendioxid zu vermeiden, enstehen durch Investitionen in AKWs in Deutschland knapp 500 Millionen Tonnen mehr als bei den Alternativen“, schreibt Gutachter Uwe Fritsche. „Kohlendioxid-Einsparung durch AKW erweist sich als reines Märchen.“
Der Neubau macht also klimapolitisch keinen Sinn – und er ist auch ökonomisch unsinnig: Moderne Gaskraftwerke liefern den Strom billiger. Sie sind auch viel schneller gebaut und erfordern eine geringere Investition – das mindert die Risiken für den Unternehmer, der sich im liberalisierten Strommarkt nicht mehr auf einen langfristig sicheren Stromabsatz verlassen kann.
Was ist aber mit den bestehenden Atommeilern? Karl Bauer vom Atomforum sieht keinen Grund, warum ausgerechnet die AKWs als erstes abgeschaltet werden sollen. „Wenn ich etwas für den Klimaschutz tun will, dann würde ich doch die alten Kohlekraftwerke ersetzen und nicht die Kernkraftwerke.“ Soll man also doch noch ein paar Jahre das Risiko eines Reaktorunglücks in Kauf nehmen, dass das Bundesumweltministerium in den kommenden 50 Jahren mit 1 zu 100 angibt?
Tatsächlich ist es möglich, aus der Atomkraft auszusteigen – ohne vom deutschen Klimaschutzziel (minus 25 Prozent Kohlendioxidausstoß bis 2005) abrücken zu müssen. Dies jedenfalls ist das Ergebnis einer Studie des Wuppertal-Instituts vom vergangenen Jahr. Allerdings müsste die Regierung Schröder den Ausstieg durch eine „erheblich offensivere Energieeinspar- und Klimaschutzpolitik flankieren“, als das unter Kohl der Fall war. Die Gutachter gingen von einem Ausstieg in zehn Jahren aus und sahen sogar vor, dass der Energiesektor seinen Kohlendioxidausstoß um 30 Prozent senkt, um Zuwächse beim Verkehr auszugleichen. Eine zentrale Energieversorgung mit riesigen Reaktoren, deren Stromangebot verkauft werden will, blockiert dagegen Innovation und Energiesparen, urteilt das Umweltbundesamt. „Zur Erreichung des Klimaschutzzieles ist die Kernenergie auf Dauer nicht notwendig“, heißt es in der Amtsstudie „Nachhaltiges Deutschland“.
Das Überangebot an Strom blockiert schon länger neue Techniken. Wenn Gemeinden oder Betriebe eigene Kraftwerke mit umweltfreundlicher Kraft-Wärme-Kopplung bauen wollen, passiert stets dasselbe. „Die Stromkonzerne bieten ihren Strom dann für ein, zwei Zehntelpfennig billiger an, als das neue Kraftwerk den Strom liefern würde“, erklärt Cristof Timpe vom Öko-Institut. Das ist deshalb möglich, weil beim AKW die laufenden Kosten im Vergleich zu den Investitionskosten vergleichsweise gering ausfallen. Um nicht auf den hohen Fixkosten sitzen zu bleiben, bieten die Atombetreiber ihren Strom lieber zu Dumpingpreisen an, statt ihre Meiler nur auf halber Kraft laufen zu lassen.
Den Wuppertaler Energieexperten zufolge hätte ein rascher Ausstieg deshalb langfristig sogar Vorteile fürs Klima: „Er würde einen Impuls freisetzen für umweltfreundliche Energien“, sagt Stefan Thomas. Die plötzliche Nachfrage nach Energie aus Wind, Sonne und Biomasse würde die Technik voranbringen und die erneuerbaren Energien billiger machen.
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