: Die AKW im Osten trifft es kaum
taz-Serie „Täglich ein guter Grund für den Atomausstieg“: Neubauten sind in einigen ehemals realsozialistischen Ländern geplant – und zwar nicht nur mit Krediten aus dem Westen ■ Von Felix Christian Matthes
Berlin (taz) – Der entscheidende Umschwung in der öffentlichen Meinung zur Frage der Atomkraftnutzung in Deutschland ist wohl ohne jeden Zweifel auf die Katastrophe im ukrainischen Kernkraftwerk Tschernobyl zurückzuführen. Als am 26. April 1986 die Bedienungsmannschaften die Kontrolle über den Reaktor Nummer 4 verloren, war die Zukunftsvision Atomenergie perdu. Aus Osteuropa kam also einer der entscheidenden Anstöße für das Ende des anfangs mit soviel Ehrgeiz gestarteten Atomzeitalters.
Doch wie sieht es im Osten heute aus? Sind mit halbwegs demokratischen Wahlen, (Schein-)Privatisierungen und langsamem Institutionenwandel auch Kursveränderungen in der Atompolitik auf den Weg gekommen? Nun ist „der Osten“ keineswegs ein homogenes Gebilde (siehe Kasten). Insgesamt hat der stark rückläufige Strombedarf in den verschiedenen osteuropäischen Ländern die Atomkraftwerke deutlich unterproportional getroffen.
Offiziell geht Sicherheit vor Wirtschaftlichkeit. Je schwieriger das allgemeine wirtschaftliche Umfeld, umso stärker wird diese oft als Beschwichtigung hochgehaltene Geschäftsgrundlage der Atomwirtschaft klar und deutlich missachtet, allen schönen Paragrafen der jeweiligen Gesetze zum Trotz. Darüber hinaus treiben eine ganze Reihe dieser Staaten jedoch – und dies ist ein klarer Unterschied zu Westeuropa – Projekte für den Neubau von Kernkraftwerken voran. Neben einer ganzen Reihe von Vorhaben in Russland haben vor allem die Auseinandersetzungen um die beiden Projekte Chmelnitzki 2 und Rowno 4 in der Ukraine, die Bauvorhaben in Temelin in der Tschechischen Republik und Mochovce in der Slowakei zur Aufmerksamkeit in Westeuropa geführt.
Weit weniger beachtet wurden die Vorhaben im rumänischen Cernovoda sowie im bulgarischen Belene. Die offensichtlich unterschiedliche Wahrnehmung der Neubauprojekte hat jedoch ihren Grund. Die AKW-Neubauten in der Ukraine, in Tschechien und zunächst auch der Slowakei wären ohne westliche Finanzierung nur schwer denkbar. Die Bundesregierung will noch in diesem Herbst entscheiden, ob sie für Baukredite der ukrainischen AKW bürgt. Regelmäßig versuchen die jeweiligen Staaten (deren Energieversorger sämtlich einem starken Staatseinfluss unterliegen), westliche Kreditfinanzierungen in Anspruch zu nehmen. Ebenso regelmäßig versuchen AtomkraftkritikerInnen in Europa und den USA, die Vergabe solcher Kredite zu vereiteln.
Gefragte Kreditgeber sind neben den Institutionen der Exportförderung (vor allem Hermes in Deutschland, Coface in Frankreich und die ExIm-Bank in den USA) insbesondere die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) sowie Euratom. Kreditgarantien der Exportförderer konnten bisher kaum verhindert werden. Erfolgreich waren die Proteste dagegen regelmäßig bei der EBWE.
Dass die westliche Finanzierung nicht allein ausschlaggebend ist, zeigt das AKW Mochovce. Nachdem die Kritik an der geplanten Finanzierung durch die EBWE überaus erfolgversprechend wurde, zog die Slowakei ihren Kreditantrag zurück und finanzierte den Fertigbau mit russischer Hilfe und Hermes-Exportgarantien.
Das Beispiel markiert aber auch einen oft anzutreffenden Wahrnehmungsfehler im Westen. Es sind keineswegs nur die westlichen Atomkonzerne und -finanzierer, die die Scheinrenaissance der Atomkraft ausgerechnet in Osteuropa vorantreiben. Dass äußerst unsichere Kernkraftwerke in Osteuropa weiterbetrieben werden sowie neue hinzukommen, ist ganz überwiegend der starken einheimischen Atomlobby dieser Staaten zuzurechnen, die oft sowohl ihre Posten als auch ihren Einfluss über alle Veränderungen hinweg retten konnten.
Zur Erinnerung: Das erste Programm, das die Energiewirtschaft der DDR Ende 1989/1990 als „demokratisches Energiekonzept“ vorlegte, sah einen ungehemmten Atomkraftausbau vor. Von den damaligen Autoren spielt heute in Deutschland keiner mehr eine Rolle. Ostwärts ist das anders. Erfolgreiche Anti-Atompolitik für diese Staaten kann also nur dann erfolgreich sein, wenn es gelingt, in den jeweiligen Staaten Verbündete zu finden und diese Beziehungen langfristig anzulegen – die Atomkraftwerkslieferanten machen vor, wie so etwas geht.
Derartige Bündnisse werden besonders wichtig, wenn es im Rahmen des EU-Beitritts um die Atomkraftwerke der verschiedenen Kandidaten gehen wird. Die geringe europäische Regelungsdichte in der Atom- und Energiewirtschaft birgt die Gefahr sehr großer Zugeständnisse an die Beitrittsstaaten. Stringente Verhandlungspositionen im diplomatischen Geschäft wie auch die aktive Suche nach Verbündeten auf allen Ebenen müssen verstärkt beziehungsweise entwickelt werden. Oder die deutsche Steckdose wird trotz eventuellem Ausstieg weiter mit Atomstrom bedient. Fließrichtung beispielsweise: Ost – West.
Der Autor ist Koordinator im Bereich Energie & Klimaschutz des Öko-Instituts, Büro Berlin.
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