: Es war Verständnis in der Luft
Vor der eigenen Basis in Barmbek gesteht die grüne Vorstandssprecherin Antje Radcke die Fehler der Bundesregierung ein ■ Von Peter Ahrens
Den KritikerInnen wurde der Wind aus den Segeln genommen. Vorstandssprecherin Antje Radcke bekam keine Prügel von der Basis, gegeißelt hatte sie sich vorher selbst genug. So hatte die ehemalige Hamburger GAL-Parteichefin am Mittwoch Abend im Barmbeker Café Uferlos eher die Rolle einer Seelsorgerin, bei der die mühseligen und beladenen Grünen ihre Enttäuschung und ihren Frust über die Bundesregierung abladen konnten. Es war viel Verständnis in der Luft.
Die eigenen Fehler vor der Basis eingestehen – Stärke und Taktik zugleich. Radcke machte davon ausgiebig Gebrauch. Das Bündnis für Arbeit komme nur schleppend voran, in der Asylpolitik sehe die Regierung schlecht aus, beim Antidiskriminierungsgesetz sei man kaum vorangekommen, der Atomausstieg „ist von Anfang an schief gelaufen“, beim Sparpaket habe man versäumt zu sagen, warum man sparen müsse, die Altautoverordnung war „ziemlich peinlich für uns“, und die Gefühlslage der Menschen im Osten habe man zu wenig ernst genommen. Dagegen stehen die Erfolge: Einstieg in die Ökosteuer, die Gesundheitsreform und die zögerliche Reform des Staatsbürgerrechtes. Die Sprecherin fasst zusammen: „Ein Stück grüner Identität ist uns verloren gegangen“, sagt sie.
Und spricht damit dem Parteivolk aus dem blutenden Herzen. Die Grünen seien zum „Wurmfortsatz der SPD“ degeneriert, heißt es bei ihm, vom Umweltschutz sei nur noch ein Randthema, es drohe die zweite FDP. „Wir wollten als Grüne in die Regierung. Und jetzt haben wir Regierende, die irgendwo noch ein grünes Parteibuch haben.“ Die Grünen haben sich, so einer, „wie eine Horde Anfänger benommen und sollten von Kohl und Wai-gel lernen“.
Und immer wieder Kosovo: Das Thema schwärt in der grünen Brust nach wie vor. Mit der Zustimmung zu den Bomben auf Serbien habe die Partei ihre Programmatik aufgegeben, „eine tragende Säule umgekippt“. Das wollte Radcke denn doch nicht akzeptieren. „Gewaltfreiheit ist immer noch Grundlage meines Handelns.“ Denn zur Gewaltfreiheit stehen, heiße ja auch, Gewalt anderer nicht zuzulassen. Die Argumentation verfing aber bei den grünen Mitgliedern nicht. „Ich hab euch beim letzten Mal gewählt, um euch noch eine Chance zu geben. Die habt ihr im Kosovo verspielt.“
Die Basis im Tal der Tränen, und irgendwie sieht niemand den Ausweg. „Wir wären in der Opposition besser aufgehoben“, sagt eine, die „euch seit 20 Jahren gewählt hat“. Für die Vorstandssprecherin eine falsche Schlußfolgerung: „Wenn wir aus der Regierung rausgehen würden – das wäre die absolute Kapitulation“, findet Radcke. Und hat als Alternative anzubieten: „Wir müssen an einem Strang ziehen und einfach ein klareres Gesicht zeigen.“
Am Ende weist sie noch darauf hin, dass bei dem Wahlfiasko in Sachsen immerhin 4000 frühere PDS-Leute jetzt grün gewählt hätten. Da muss sie aber selbst ein bisschen bitter grinsen. „Es gab Momente im vergangenen Jahr, in denen ich mich nach Hamburg zurückgesehnt habe“, sagt sie, und man merkt: Das ist mehr als ein reiner Schnack. Radcke stellt fest: „Wir sind zur Zeit in einer ziemlich desolaten Situation.“ Die Seelsorgerin kann keine Absolution erteilen.
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