: 537 Anträge und ein längst vergebenes Amt
„Aufbruch ins neue Jahrhundert“ lautet das Motto des Gewerkschaftstags der IG Metall. Der Rest ist Ritual. Chef Zwickel poltert und wirbt für alte Ideen, seine Wiederwahl ist reine Formsache ■ Aus Hamburg Annette Rogalla
Ordentlich aufgereiht sitzen die 595 Delegierten im Hamburger Congresszentrum, gucken in die Luft, blättern in Aktenordnern und gähnen. In den nächsten fünf Tagen werden sie viele Reden hören. Dazwischen beraten sie über 537 Anträge und stimmen über ein längst vergebenes Amt ab. Klaus Zwickel, der seit Oktober 1993 amtierende Vorsitzende der IG Metall, will auch ihr zukünftiger werden.
Dann ist Zwickel dran, und er gibt sich reichlich Mühe, kämpferisch zu wirken – ganz wie in den zurückliegenden Tagen. Die neue Bundesregierung habe „wichtige Bausteine“ für eine Politik für mehr Gerechtigkeit gelegt. „Das war ein gelungener Start“, sagt Zwickel und holt Luft: „Was schmerzt und zornig macht, ist, wie durch eigenes Handeln der Erfolg des Wahltages im Regierungsalltag gefährdet wird. Es tut sehr weh, wie ein Wahlsieg droht verspielt zu werden.“ Kräftiger Beifall. „Ja, ganz gut“, sagt ein Metaller aus Thüringen zu Zwickels Darbietung.
Klaus Zwickel ist als zuverlässig bei den Metallern bekannt. Die Arbeitgeber bescheinigen ihm einen „umgänglichen“ Charakter, der nur dann eine Spur zu laut werde, wenn er sich unsicher sei. Sollte diese Einschätzung stimmen, so ist Zwickel in Hamburg von Unsicherheiten geplagt. Sein Stimmorgan tönt gewaltig, seine Sprache ist schlicht. „Wir sind weder das betriebliche Bein der Regierungsparteien noch der politische Lautsprecher der Bundesregierung.“ Die Delegierten danken mit zehn Sekunden Beifall.
Ein Jahr nach dem Regierungswechsel werden in Hamburg harte Töne gewünscht. Zwickel liefert sie: Wer soziale Gerechtigkeit wolle, dürfe den Haushalt nicht in erster Linie auf Kosten der Rentenerhöhungen und zu Lasten der Sozialversicherungsbeiträge für Arbeitslose konsolidieren. Zwickel kennt auch das politische Konzept dagegen: „zuallererst die Vermögenseinkommen, die Investment-Depots und Spekulationsgewinne der Reichen heranziehen“. Auch nach diesen Sätzen umspült heftiger Applaus das Rednerpult.
Bei der Rente mit 60 und den mangelnden Lehrstellen will die IG Metall noch konkrete Vorschläge von der Regierung hören. Zwickel lässt keinen Zweifel daran, dass er auch nach seiner Wiederwahl Druck machen wird. Eine Abgabe für Betriebe, die nicht ausbilden, verlangt er. An der Rente mit 60 führe kein Weg vorbei. Und allen Skeptikern kommt der Vorsitzende persönlich: „Die dummdreisten Kommentierungen ärgern mich maßlos“, sagt er. Dass die Kritik auch aus den eigenen Reihen kommt, hat Klaus Zwickel vergessen. Die Delegierten sehen es ihm nach. Schließlich haben sie kapiert: Der Vorsitzende stellt sich in Hamburg selbst dar. Seine Wahlrede folgt dem einfachen Motto: Wer gewinnen will, muss auf andere eindreschen.
Zwickels Wiederwahl heute ist reine Formsache. Er steht ohne Gegenkandidat da. Die Metaller werden den Akt willig, aber ohne große Begeisterung vollziehen. Die Gewerkschafter wissen: Der Mann, der kandidiert, wird ihnen keine glanzvollen Ideen für das nächste Jahrhundert liefern. Er ist eben keiner, der mitreißt. Er ist der geblieben, der er immer war. Ein Werkzeugmacher aus dem Schwäbischen, der eine erfolgreiche Ochsentour durch die Gewerkschaft hinter sich hat. Er ist der zuverlässige Begleiter in Zeiten, in denen Arbeitsplatzabbau, niedrige Einkommen und soziale Unsicherheiten die Beschäftigten plagen. Diesen treuen Freund schätzen die Metaller. Ihn wollen sie wiederwählen. „Es interessiert niemanden, ob Zwickel mit dem Kanzler streitet“, sagt der Metaller aus Thüringen. „Es gibt nur einen Bundeskanzler, und der macht die Politik. Der Zwickel soll das Beste für uns herausholen.“ Dafür taugt die harte Tour allemal.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen