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Niedlichkeit, die ansteckt

■ Strukturell unterhaltende Pop-Performance mit Kinderzimmer-Traurigkeit: die Schweizer Theatergruppe „Mass & Fieber“ mit „Bambifikation“ im Fundbureau

Da kann man noch was lernen: „Der Vater von Bambi heißt nicht Walt, sondern Felix“, sagt Fabienne Hadorn, die unbedingt so aussieht, als müsste sie es wissen, denn aus den Löchern in der weißen Gipskappe lugen ihre rehbraunen Zöpfchen nachgerade wie ein Lauscherpaar hervor. Wir erfahren die volle Wahrheit: „Bambi ist ein Junge.“ Klar. Aber sie steckt auch in der Prostituierten Josefine Mutzenbacher, Felix Saltens (1869-1945) zweiter literarischen Erfindung mit Weltruf, sie steckt in Bamby Lake, in Pocahontas, als Alien buchstäblich in Sigourney Weaver – und bald in uns allen? Douglas Coupland war es, der in Generation X mit „Bambifikation“ die Mutation von Menschen zu Comicfiguren bezeichnete. In der gleichnamigen Produktion der Schweizer Theater-Performance-Gruppe Mass & Fieber, die gerade im Fundbureau gastiert, zeigt sich der verheerende (und bisweilen verheerend komische) Niedlichkeitsvirus in all seinen Facetten.

Bambifikation, ersonnen von Ex-Thalia-Dramaturg Niklaus Helbling und Martin Gantenbein, ist ein Abend, der mit großer Leichtigkeit, hingegen nur scheinbar unambitioniert strukturelle Unterhaltung, Pop-Kitsch und kulturkritschen Diskurs verbindet. Fassungslos machende Albernheiten können hier mühelos bestehen, weil zwischendurch immer wieder aufrichtige Kinderzimmer-Traurigkeit behauptet wird. Fabienne Hadorn besticht dabei als ungemein energiegeladenes Allroundtalent, das Kammersängerin, Nancy Sinatra, Karaoke-Mädchen und Karate-Girl locker ausbalanciert. Sie wird akkompagniert von zwei Jungs in Schlafanzügen, Markus Schönholzer und Bo Wiget, die oft musizieren: mit Cello, Kindergitarre, Banjo und Billigst-Keyboard. Schönholzers Gregory-Peck-Parodie als Kapitän Ahab ist darüberhinaus bemerkenswert.

Seit der Uraufführung von Bambifikation Ende Januar in einem Züricher Techno-Keller touren Mass & Fieber wie wild durch die Schweiz und Deutschland, und zwischen dem 11. und 21. November geben sie sieben Vorstellungen beim nordrhein-westfälischen Impulse-Festival. Wer darauf wettet, dass die hoffnungsvollen Eidgenossen in der nächsten Saison auch auf Kampnagel zu sehen sein werden, hat keine schlechten Chancen.

Ralf Poerschke

noch heute, morgen und Sonnabend, 21 Uhr, Fundbureau, Stresemannstraße 114, Karten unter Tel.: 43 25 13 51

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