: Neue Runde in Öcalans Kampf mit der Justiz
Heute beginnt in Ankara das Revisionsverfahren gegen den zum Tode verurteilten PKK-Chef. Seine Verteidigung setzt nicht nur auf Formfehler, sondern auf Apos neue Rolle als Versöhner ■ Aus Istanbul Jürgen Gottschlich
Heute beginnt für den Chef der PKK, Abdullah Öcalan, eine neue Runde in seinem Kampf mit der türkischen Justiz. Vor dem Kassationsgerichtshof in Ankara findet seit heute das Revisionsverfahren gegen den im Juni zum Tode verurteilten Öcalan statt. Öcalan selbst ist bei der Verhandlung nicht anwesend, sondern wird von seinen Anwälten vertreten.
In der Revisionsverhandlung wird es im Wesentlichen darum gehen, ob in dem ersten Prozess gegen Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali Formfehler gemacht wurden, die zu einer Aufhebung des Todesurteils führen können. Die Anwälte Öcalans haben bereits auf Imrali argumentiert, dass das Gericht im Falle des PKK-Führers unzuständig ist. Öcalan ist in erster Instanz durch das Staatssicherheitsgericht Ankara verurteilt worden, nach Ansicht seiner Verteidiger hätte der Prozess aber vor dem Staatssicherheitsgericht in Diyarbakir stattfinden müssen.
Wenn das Kassationsgericht das Urteil aufhebt, wird das Verfahren an ein Staatssicherheitsgericht zurückverwiesen. Für den Fall, dass das oberste Gericht das Urteil der ersten Instanz bestätigt, wäre die juristische Ebene für Öcalan abgeschlossen, und das Parlament müsste dann darüber entscheiden, ob die Todesstrafe vollstreckt werden soll oder nicht.
Allerdings hat diese Woche ein anderes Strafgericht in Ankara angekündigt, man wolle Öcalan, zusammen mit 100 weiteren Angeklagten, im Dezember erneut vor Gericht stellen. Dabei soll es um Straftaten vor 1980, also aus der Gründungsphase der PKK gehen.
Für die Entscheidung des Kassationsggerichtshofes wird außer den eher technischen Rügen, die die Verteidigung vorbringen will, auch das Verhalten Öcalans während des ersten Prozesses und in den Monaten danach eine Rolle spielen. Öcalan hatte bereits im Juni den bewaffneten Kampf als überholt und als der Zeit nicht mehr angemessen bezeichnet und auch viele Aktionen der PKK als Fehler bezeichnet. Stattdessen hatte er angekündigt, sich für den Frieden zwischen Kurden und Türken einsetzen zu wollen und an einer demokratischen Lösung der kurdischen Frage mitzuwirken.
Während Apo sich während des Prozesses auf Imrali noch scheute, seine Anhänger zur Beendigung des Kampfes aufzurufen, kündigte er einige Wochen später von Imrali aus an, dass die PKK sich aus der Türkei zurückziehen und den bewaffneten Kampf einstellen werde. Nachdem das Militär, aber auch die türkische Regierung auf diese Ankündigung skeptisch reagierten und das Verlassen der Türkei als routinemäßigen Rückzug in die Winterquartiere im Nordirak abtaten, landete Apo in der letzten Woche einen neuen Clou. Er ordnete an, dass sich eine Gruppe von PKK-Kämpfern ergeben und der türkischen Armee stellen sollte.
Die sogenannte „Friedens- und demokratische Lösungsgruppe“ , insgesamt neun PKKler unter Führung des Veteranen und früheren Europasprechers in Brüssel, Ali Sapan, stellte sich am vergangenen Freitag in der Nähe der irakischen Grenze daraufhin einer Militärpatrouille. Sapan und seine Leute hatten Botschaften für Präsident Demirel, Ministerpräsident Ecevit und Generalstabschef Kivrikoglu dabei, die nach Angaben von Duran Kalkan, einem Präsidiumsmitglied der PKK, den Wunsch der Partei ausdrücken, sich mit einer türkischen Republik zu vereinen, „die ihre Probleme demokratisch löst“. Die Gruppe wurde vom Militär festgenommen und nach viertägigen Verhören in das Gefängnis in Mus gebracht.
Obwohl Militär und Regierung Öcalans Offerten bislang immer zurückgewiesen haben, zeigen sie in der Öffentlichkeit Wirkung. Das Bild Apos, der früher vorzugsweise als „Babykiller“ bezeichnet wurde, hat sich gewandelt. Dazu trägt auch bei, dass Apo sich nicht nur in eigener Sache an die Öffentlichkeit wendet, sondern etwa auch sein Beileid für die Opfer des Erdbebens bekundet. „Es vergeht ja kaum noch ein Tag ohne eine Stellungnahme Öcalans“, stöhnte Ministerpräsident Ecevit bereits.
Auf dieses veränderte Image setzt Apo, wenn das türkische Parlament über sein Leben abstimmen wird. Vorher wird die Regierung aber abwarten, was der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zu dem Verfahren gegen Öcalan sagt. Apos Anwälte haben vorsorglich bereits Klage in Straßburg erhoben, die europäischen Richter werden erst den Ausgang der Verfahren in der Türkei abwarten. Je länger das dauert, umso besser werden Öcalans Chancen. Wenn die Kämpfe im Südosten der Türkei beendet würden, kann er damit rechnen, dass sich im Parlament diejenigen durchsetzen, die einen lebenden Öcalan für nützlicher halten als einen kurdischen Märtyrer.
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