: Wo bleibt das Schuldbekenntnis?
■ Zwangsarbeit: Obwohl die deutschen Unternehmen derzeit um Entschädigungssummen feilschen, sind sie keineswegs bereit, ihre Verstrickung in Naziwirtschaft einzuräumen
Die Organisation Aktion Sühnezeichen fordert von der Bundesregierung, per Gesetz eine Stiftung zu schaffen, in die deutsche Firmen Beiträge zur Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter zahlen sollen. Die Summen sollten sich „an der Höhe ihrer durch Zwangsarbeit erzielten Gewinne“ orientieren und nicht, wie die Wirtschaft es will, im freien Ermessen der Firmen liegen.
Die Aktion Sühnezeichen hat 79 Firmen schriftlich dazu aufgefordert, „öffentlich ihre Bereitschaft zu erklären, sich mit einem angemessenen Betrag“ an der Stiftung zu beteiligen. „Wir erwarten von den betroffenen Firmen, dass sie sich zu ihrer Verstrickung in NS-Unrecht und ihrer Mitverantwortung für die Verbrechen an den ehemaligen Zwangsarbeitern bekennen.“
Bei den seit Mittwoch laufenden Verhandlungen in New York liegen die Forderungen der ehemaligen Zwangsarbeiter und die Zugeständnisse der deutschen Wirtschaft und Regierung immer noch weit auseinander. Mit einem Durchbruch wird noch nicht gerechnet. Inzwischen ist aus Koalitionskreisen durchgesickert, die deutsche Wirtschaft wolle vier Milliarden Mark und die Regierung zwei Milliarden in eine Entschädigungsstiftung einzahlen. Der Sprecher der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft, Wolfgang Gibowski, bestätigte, dass es sich „um eine einstellige Milliardensumme“ handle. Im Gegenzug verlangt die Industrie Rechtssicherheit vor weiteren Klagen.
Die betroffenen Unternehmen sehen ihren Beitrag als humanitäre Hilfe, nicht aber als Erfüllung einer Verpflichtung gegenüber den Geschädigten. Tatsächlich sieht die Rechtslage so aus, dass die Reparationsfrage, also die Verpflichtung zur Entschädigung von Opfern, 1953 im Londoner Schuldenabkommen vertagt wurde, bis zum Abschluss eines Friedensvertrags. Den gibt es bis heute nicht.
Die ehemaligen Zwangsarbeiter klagen nun den Lohn ein, den die deutschen Unternehmen ihnen nach wie vor schulden. Ihre Anwälte fordern 20 Milliarden Dollar – das sind fast 40 Milliarden Mark. Auch der Münchner Anwalt Michael Witti nannte im Deutschlandfunk die Summe von 36 Milliarden Mark „angemessen“. Der Sprecher der Verfolgten des Naziregimes, Ulrich Sander, verlangte, es müssten noch in diesem Jahr mindestens 10.000 Mark pro Person ausgezahlt werden.
Wie viele Menschen Anspruch auf eine Entschädigung haben, ist noch unklar. Die Kläger sprechen von 2,4 Millionen, auf deutscher Seite geht man von 900.000 Opfern aus. Insgesamt haben die Nazis rund 10 Millionen Menschen in Konzentrationslagern und sogenannten zivilen Lagern zur Arbeit gezwungen. Katharina Koufen
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