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■  Manchmal muss man Prioritäten setzen: Die Deutsche Welle streicht Stellen und Sender. Was aber wirklich fehlt, ist ein Konzept

In der Hölle kann es sehr tröstlich sein, eine deutsche Stimme zu hören. Wer schon einmal im Landmannalaugar trotz Warnung versucht hat, den Groenagil zu durchqueren, ohne vorher die Tiefe des Flusses barfuß watend zu prüfen, der weiß das. Kein Auto mehr, weil Käfer versenkt, kein deutscher Laut mehr, weil Fahrer erfroren, und auf Hilfe null Aussicht, weil ringsum nur Schafe, die Isländisch sprechen.

Da freut man sich tierisch, wenn wider Erwarten das Radio noch geht. Ein bisschen am Sucher gezwirbelt, überraschend kHz 6075 gefunden – und Udo Jürgens erklingt, der vom „Urlaub im Süden“ singt. Da sieht die Welt gleich ganz anders aus, und ist es nicht gut zu wissen, dass man, egal wo, auf solch heimatliche Klänge zählen kann?

Doch die Deutsche Welle, die derlei Tröstungen seit bald 50 Jahren versendet, bietet viel mehr. Im Radio verbreitet der Sender weltweit Programme in 34 Sprachen, seit Anfang der 90er-Jahre gibt es auch multikulturelles Fernsehen im Deutsche Welle TV und einen umfangreichen Internet-Auftritt.

All das ist jetzt in Gefahr, wenn man den Schreckensmeldungen glaubt, die vom drohenden Untergang des deutschen Auslandssenders künden. Der bisher „schwärzeste Tag in der DW-Geschichte“ war laut Personalratsgremien der vergangene Mittwoch. Und damit war der Sender und nicht sein Intendant Dieter Weirich gemeint.

Weirich wirkte nicht sonderlich bedrückt, als er verkündete, dass 600 Mitarbeiter gehen müssen – darunter 79 Festangestellte, was wirklich einmalig ist in der Geschichte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Um ihre Jobs bangen aber vor allem die freien Mitarbeiter, die man leichter kündigen kann. Besonders hart betroffen sind die fremdsprachigen Radiostationen. Im arabischen Raum, in ganz Lateinamerika, in Japan und sechs weiteren Ländern werden die Programme eingestellt. „Nicht so schrecklich viel Spaß gemacht“ hätten ihm all diese Entscheidungen, erklärte Weirich hilflos, ja „schmerzlich“ seien sie gewesen.

Schmerzlich auch für ihn? Weil der Intendant angedeutet hat, sichbald aufs Altenteil zurückzuziehen, hegen die Personalräte den bösen Verdacht, es lasse ihn kalt, wie schlecht es um die traditionsreiche Anstalt steht: „Offenbar setzt Weirich seine Handlungsmaxime in die Tat um, seinen Vertrag bis zum Ende des nächsten Jahres nur noch auszusitzen.“

Dafür hat er sich allerdings noch recht ordentlich gezofft mit Kulturstaatsminister Michael Naumann, als der, vom allgemeinen Sparfieber gepackt, immer entschlossener daran ging, der Deutschen Welle das Geld zu kürzen. Erst 40, jetzt 54 Millionen Mark sollen allein im kommenden Jahr gestrichen werden. Ganz schön happig, bei einem Etat von 635 Millionen.

Was die Gewerkschaften dem Intendanten vorwerfen, ist denn auch nicht mangelnder Widerstand gegen die Sparpläne der Regierung, sondern mangelnde Fantasie und Hingabe, um ein „längst überfälliges Zukunftskonzept“ auszuarbeiten. In der Tat hätten die drastischen Kürzungen bei allem Schmerz auch die Chance geboten, richtungweisende Entscheidungen zu treffen. Stattdessen wurde hier ein bisschen gespart und da ein bisschen gestrichen, ohne wirklich klarzumachen, wo künftig die Prioritäten liegen sollen, worauf man sich konzentrieren will und wozu es die Deutsche Welle in Zukunft noch braucht.

Das viel gepriesene Internet-Angebot, in das Weirich stärker investieren will, kann keine Daseinsberechtigung liefern. Wer irgendwo auf der Welt online ist, hat sowieso Zugang zu fast allen deutschen Medien und braucht die Deutsche Welle nicht.

Ihr historisch wichtigstes Standbein, der Rundfunk, wird in den wirtschaftlich bedeutenden Ländern kaum noch wahrgenommen und deshalb jetzt auch eingeschränkt. Nur in den Krisenregionen der Welt sieht Weirich noch Bedarf, in Indonesien und auf dem Balkan soll sich die Deutsche Welle zur „Stimme der Freiheit“ aufschwingen. Ein hehres Ziel vielleicht, aber kein echtes Zukunftsprogramm.

Bessere Chancen zu überleben hätte vielleicht das jüngste Kind der Deutschen Welle, das Fernsehen. Hier stellt sich aber – ähnlich wie beim Internet – die Frage, ob es in einer satellitenumflogenen Welt, in der jeder alles sehen kann, zwingend geboten ist, einen eigenständigen Sender für das Ausland durchzufüttern. Außerdem werden sich ARD und ZDF, mit denen Weirich eine „bessere Kooperation“ anstrebt, diesen Markt nicht nehmen lassen.

Wenn die Deutsche Welle nicht aufpasst, bleibt ihr nur die bewährte Nische: der Service für deutsche Urlauber auf Abenteuertrip, die froh sind, wenn irgendwo in der Pampa eine deutsche Stimme erklingt. Und was kostet die Deutsche Welle den deutschen Steuerzahler noch mal? Weirich weiß es genau: „7 Mark pro Jahr – also so viel wie zwei, drei Kölsch.“ Ob Udo Jürgens auf Island das wert ist? Lukas Wallraff

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