: Die grünen Querulanten
Was machen antisowjetische Schriftsteller seit dem Untergang der Sowjetunion? Einige Betrachtungen anlässlich Jewgeni Popows neuestem Buch ■ Von Wladimir Kaminer
Die Sowjetmacht hat sich um ihre Schriftsteller gekümmert: die guten gelobt und die schlechten bestraft. Viele Parteifunktionäre waren selbst leidenschaftliche Schreiber, Dichter, Maler ... Sie wussten also die Literatur und ihre Wirkung auf das alltägliche Leben zu schätzen. Im Juni 1957 sagte Nikita Chruschtschow anlässlich eines Parteitags: „Das schöpferische Tun auf den Gebieten der Literatur und der Kunst muss vom Geist des Kampfes für den Kommunismus durchdrungen sein, muss die Herzen vor Überzeugung höher schlagen lassen und ein sozialistisches Bewusstsein sowie Gruppendisziplin hervorbringen.“
Daraus ergaben sich für jeden, der Schriftsteller werden wollte, zwei Wege: Ein sowjetischer Schriftsteller zu sein, nach den Vorstellungen der Partei, und dadurch alle süßen Früchte dieses angesehenen Berufes zu ernten – Millionenauflagen, Reisen in offizieller Mission rund um die Welt, ein schönes Häuschen in einem Schriftstellerdorf und solche Sachen. Der andere Weg war: Ein antisowjetischer Schriftsteller zu werden, geheimnisvoll und mysteriös, im Untergrund schreibend, immer von schönen, opferbereiten Frauen und reichen Ausländern umgeben. Als ein Mann ohne Gesicht, als einsamer Kämpfer. Die sozialistische Gesellschaft war ein Paradies für sich minderwertig fühlende, nach Anerkennung lechzende Menschen. Man musste nur wenig, eigentlich gar nichts tun, um die Aufmerksamkeit des Staates zu erlangen.
Mit Begeisterung den Gegner lobpreisen
Nun ist das aber alles Vergangenheit. Die sowjetischen Schriftsteller sind zu Gutsbesitzern geworden, sie verballern jetzt die früheren Privilegien und Ersparnisse. Was sollen aber nun die ganzen antisowjetischen Schriftsteller tun? Das Thema wechseln? Aber sie haben kein anderes Thema als den Antisowjetismus. Manchmal haben sie Glück, wie der Autor Jewgeni Popow, dessen Roman „Die wahre Geschichte der grünen Musikanten“ jetzt auch auf Deutsch im Berlin Verlag erschienen ist. Das Buch hatte zuvor die Aufmerksamkeit der neuen russischen Regierung errungen, der Literatur ansonsten völlig gleichgültig ist. Der Autor Popow bekam für sein Opus den „Preis für patriotische Literatur des Zentralrats der Außen- und Verteidigungspolitik Russlands“! Vielleicht liegt es daran, dass noch so viele alte Kommunisten in der Regierung sitzen. Sie sind die besten Leser der „antisowjetischen“ Schriftsteller. Beide Gruppen sind in gewisser Weise aufeinander angewiesen und kommen gut miteinander klar.
Popows Buch jedoch ist albern, wie auch manche seiner früheren Werke: „Die Seele des Patrioten“ und „Die Wunderschönheit des Lebens“ etwa. Um nicht altmodisch zu erscheinen, bedient sich der Autor eines postmodernen Kunstgriffs: Zu einem 50-seitigen Text schreibt er 300 Seiten Kommentare, die genau so plump sind wie der Text. Besonders stolz ist Popow auf seine platte Ironie, die er großzügig auf der Textfläche seines Romans verteilt. Gleich seine Überschrift „Die grünen Musikanten“ wird kommentiert. Unter der entsprechenden Fußnote lesen wir: „Kommentieren oder nicht kommentieren? Die Versuchung ist groß, doch ich schweige lieber ...“
Die Hauptfigur in dem Text ist ein Schriftsteller oder ein Journalist, der vor der Wahl zwischen Anpassung oder Widerstand steht. Er bekommt von einem Kollegen einen Joint zum Geburtstag geschenkt. Verzweifelt zieht der Protagonist an dem Joint, und die wahre Welt offenbart sich ihm. Die Realität entpuppt sich als gruseliger Zirkus. Oben im Himmel sieht der Protagonist die Menschen, die wie Akrobaten irgendwelche Seile hochklettern. Je höher sie kommen, umso dicker und bequemer werden die Seile. Das soll nun der Homo sowjeticus sein, der einfach Karriere macht. Ganz unten sieht der Protagonist einen Haufen Scheiße. Bis zum Hals in der Scheiße stehen die so genannten grünen Musikanten, die „Wahren“, die „Kämpfer“. Dostojewski und Tolstoi sind auch dabei. Eine geheimnisvolle Stimme fragt den Protagonisten, wo er am liebsten mitmachen würde. Er kneift und entscheidet sich für die Akrobatik.
Widerstand leisten, noch mehr saufen
Seine Mitmenschen in dem Roman sind auch meist Schriftsteller oder Journalisten, die ständig zusammen saufen. Das Saufen ist für die Entwicklung der sowjetischen Literatur sowieso unabdingbar. Die offiziellen Schriftsteller begannen ihren Arbeitstag gewöhnlich mit ein paar Bierchen, damit die Herzen, die immer höher schlagen mussten, erst einmal ansprangen. Bei der inoffiziellen Literatur hatte das Saufen noch größere Bedeutung – es war eine der weitest verbreiteten Formen des Widerstands gegen das Regime.
Zwischen den Zeilen kann man bei Popow lesen: Früher war alles besser. Früher war alles leichter. Jetzt muss ein Schriftsteller arbeiten. In der Zeitung zum Beispiel. Oder als Verkäufer in einem Schuhgeschäft. Er muss das Geld zählen. Das hoffnungslos amerikanisierte Leben: sich der täglichen Ausbeutung stellen, die Russen nennen es Dynamik. Das, was du heute tust, versorgt dich morgen, doch morgen musst du schon wieder was anderes tun, um für übermorgen vorzusorgen. Ein Hundekapitalismus. Jewgeni Popow: „Die wahre Geschichte der grünen Musikanten“. Berlin Verlag 1999, 381 Seiten, 44 DM
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