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Freier Blick aufs Ego

■  „Ich wollte kein Lachen“: Ein Gespräch mit Herlinde Koelbl, die in „Spuren der Macht“ mit Interviews und Fotografien „die Verwandlung des Menschen durch das Amt“ dokumentiert hat

Seit 1991 besuchte die Münchener Fotografin und Buchautorin Herlinde Koelbl einmal im Jahr fünfzehn prominente Frauen und Männer aus Politik und Wirtschaft, die sie fotografierte, filmte und befragte. Koelbl wollte dokumentieren, wie sich ihre Protagonisten im Laufe der Jahre und im Verlauf ihrer Karriere veränderten. Nun ist das Projekt abgeschlossen, ein Buch, ein Fernsehfilm und eine große Foto-Ausstellung, die heute im Deutschen Historischen Museum Berlin in seinem Ausweichquartier im Kronprinzenpalais eröffnet, sind das Resultat ihrer erstaunlichen Langzeitstudie, die ungewöhnlich erhellende Porträts zeitigte.

taz: Was war der Auslöser zu Ihrem Projekt? Haben Sie eines Tages bei einem Politiker gedacht, ich möchte mal wissen, wie der in zehn Jahren aussieht?

Herlinde Koelbl: Da muss ich weiter zurückgehen. Schon lange bevor ich Fotografin wurde, habe ich mich für Verhaltensforschung interessiert und habe darüber sehr viel gelesen, denn ich finde dieses Thema ungeheuer spannend. Das ist ein Faden, der später durch meine ganze Fotografie geht. Als Fotografin habe ich von Anfang an stark auf die Körpersprache und den Ausdruck geachtet. Ich habe öfter erlebt, dass mir Menschen Dinge erzählt haben, und wenn ich sie so betrachtet habe, dachte ich mir, das stimmt doch gar nicht, was die mir erzählen. Der Körper sagt doch oft etwas anderes als die Worte.

Und dann habe ich bei Menschen, die ich einmal im Rahmen meiner journalistischen Arbeit für Zeitschriften, Zeitungen und Magazine aufnahm und denen ich dann Jahre später wieder auf einem solchen Termin begegnet bin, tatsächlich oft gedacht: Der hat sich aber verändert! Das hat mich über Jahre hinweg fasziniert. Als die „Jüdischen Portraits“ abgeschlossen waren, an denen ich auch sechs Jahre gearbeitet hatte, dachte ich, so, jetzt kann ich mich dieser Idee wirklich hingeben, und schrieb dann auch 1991 gleich die Personen, die mich interessierten, an und sagte ihnen, dass ich sie mindestens acht Jahre lang begleiten will. Weil ich dachte, ich will die Politiker gerne zwei Legislaturperioden begleiten, da stehen sie jedes Mal unter einem besonderen Druck wieder gewählt zu werden. Und wenn man nicht wieder gewählt wird, kann es einen großen Sturz bedeuten. Und dann sagt man ja auch, sieben Jahre seien so eine Art Lebenszyklus.

Nach welchen Kriterien haben Sie sich ihre Protagonisten ausgesucht? Sah man die kommenden Leute?

Ich suchte mir Persönlichkeiten, die neu in ein hohes öffentliches Amt gekommen sind. Sie stehen unter einem enormen Druck. Politik und Medien haben sich in den letzten Jahren immer mehr verzahnt, und es wird immer wichtiger, sich in der Öffentlichkeit gut darzustellen und zu verkaufen. Da kann man ermessen, wie sehr das auch mit dem eigenen Körper zu tun hat. Deshalb habe ich mir mehr Politiker ausgesucht, aber es war mir klar, es sollten auch Leute aus der Wirtschaft dabei sein, damit ich ein Gegengewicht habe: Sieht es da anders aus?

Und ich habe mir einen Kreis von Menschen ausgesucht, von denen ich dachte, dass sie nach acht Jahren noch auf der Bühne stehen werden. Das kann man vorher nie wissen. Aber ich war auch von Anfang an entschlossen, sollte einer abstürzen oder gestürzt werden, dann würde ich den Verlierer genauso begleiten wie den Gewinner. Nein, nein, ich finde, Verlierer haben eine interessante Biografie.

Bei Joschka Fischer ist die Entwicklung am spektakulärsten verlaufen. Konnte man das sehen? Wo er in der ersten Sitzung so launisch und zappelig war?

Also ich hätte nie gedacht, dass er mal Außenminister wird. Das ist etwas für mich Überraschendes gewesen. Aber Joschka Fischer hat sich nicht viel darum gekümmert, was andere Leute über ihn denken. Er räkelt sich im Sessel, ich bin so, sagt er. Na ja, schreiben Sie halt über mein Gewicht, sagt er. Er ist recht souverän mit sich selbst umgegangen.

Ich habe ihn ausgesucht, weil er eine interessante Persönlichkeit ist. Er war damals gerade hessischer Umweltminister geworden, das heißt zum zweiten Mal, und ich fand, er war die interessanteste Figur in der Grünen-Partei.

Ist er im Laufe Ihrer Sitzungen nicht immer professioneller geworden?

Ich würde sagen, professionell ist er im letzten Jahr, da ist er staatsmännisch geworden. Am Schluss war es natürlich schon schwierig, einen Termin zu kriegen. Sie haben es im Film ja gesehen, er schoss herein mit einem „Ganz wenig Zeit“. Sonst waren wir immer allein beim Gespräch, als er Außenminister war, saß ein Pressereferent dabei.

Wenn Sie Ihr künstlerisches Projekt verfolgen, das ein dokumentarisches Projekt ist, bei dem Sie mit den Interviews sehr viel über das private Leben der Politiker erfahren, wird man da nachlässig gegenüber der Funktion, die Ihr Gegenüber innehat?

Meine Voraussetzungen sind anders. Normalerweise bewegt sich der politische Journalist im Umfeld der Politiker, er ist in deren politisches Leben integriert. Ich gehöre nicht zu diesem Kreis. Natürlich verfolge ich das Leben der Politiker das ganze Jahr durch. Lese jeden Tag mindestens zwei Zeitungen, sammle Ausschnitte, habe Mappen und Ordner angelegt und bereite mich sehr intensiv vor. Ich lese sämtliche Interviews der vergangenen Jahre, damit ich sehe, was ist da passiert, gibt es Widersprüche zu den jetzigen Ansichten. Ich habe das alles im Kopf, komme aber aus der Distanz. Wenn ich sie öfters sehen würde, mich in ihrem Umfeld bewegen würde, wäre das anders. Wenn ich komme, entsteht eine große Nähe, eine große Intensität bei den Gesprächen, aber dann gehe ich wieder und ward nicht mehr gesehen bis zum nächsten Jahr.

Sie sind ja durch „Feine Leute“ weit über den Kreis der Leute hinaus berühmt geworden, die sie etwa wegen „Das deutsche Wohnzimmer“ schätzten. „Feine Leute“ war so etwas wie Ihr Pop-Schlager. Man könnte also annehmen, dass auch Politiker es kennen. Nach den entlarvenden Bildern von „Feine Leute“ hätte man als Politiker große Angst haben können, sich von Ihnen fotografieren zu lassen? Hat Sie jemand auf diese Bilder angesprochen?

Ich glaube nicht, aber ich muss dazu sagen, dazwischen waren die „Jüdischen Portraits“. Das war mein letztes Buch, mit diesen langen Interviews. Das war die Referenz. Es sollten klassische Porträts sein. Es musste ein neutraler Hintergrund sein, deshalb habe ich mich für die weiße Wand entschieden, die ich immer finde, auch in irgendeinem Büro. Ich wollte jedes Jahr ein Kopfporträt, ein Bild sitzend, eines stehend. Um nicht nur die Gesichtsspuren zu sehen, sondern auch die veränderte Körperhaltung. Wichtig war: Ich habe nie Anweisungen gegeben. Absolut keine Anweisung, es sollte immer eine Selbstpräsentation sein. Für das Buch wollte ich auch kein Lachen. Keine Pose. Ich wollte einen ruhigen offenen Blick in die Kamera. Wenn Sie jemanden ruhig und offen ansehen, können Sie ihr Gesicht kaum mehr verstellen.

Und es war von Anfang an klar, ein Foto steht für ein Jahr?

Nicht unbedingt, die ursprüngliche Konzeption kommt jetzt in der Ausstellung voll zum Tragen. Im Buch wäre es unmöglich gewesen, 16 Bilder – Porträt und Figur – zu zeigen. Das Buch hat jetzt schon 400 Seiten, und es wäre nicht mehr bezahlbar gewesen.

Aber als Fotografin, hatten Sie da das Gefühl, es kann nur einen Augenblick geben?

Wenn Sie einen Kontaktbogen anschauen und Sie wollen diesen ruhigen offenen Blick, da scheiden schon so viele Bilder aus. Es ist nämlich gar nicht so leicht, jemanden wirklich anzusehen. Man spürt es, wenn man durch die Kamera schaut, ob der andere einen wirklich anschaut. Und das ist der Augenblick, den ich wollte.

Noch eine einfache Frage: Ihre Ausstellung und das Buch heißen „Spuren der Macht“. Was haben Sie dabei über Macht gelernt?

Was ich über Macht gelernt habe? Ich würde gerne so antworten: Ich glaube, ich habe in meinem beruflichen Leben durch die Begegnungen mit den jüdischen Persönlichkeiten am meisten gelernt. Das waren alles Menschen, die in ihren Bereichen, sei es Naturwissenschaften, sei es Musik, sei es Film oder Literatur führend waren, und sie waren von einer beeindruckenden Bescheidenheit. Sie mussten ihr Ego nicht in den Vordergrund stellen, und trotzdem waren sie die faszinierendsten Gesprächspartner.

Interview: Brigitte Werneburg/

Harald Fricke ‚/B‘ Herlinde Koelbl: „Spuren der Macht“, bis 16. 11. im Kronprinzenpalais, Berlin. Der Katalog (400 Seiten, 140 Abbildungen) ist im Knesebeck Verlag erschienen und kostet 98 DM.

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