Rugova wartet auf seine Stunde

Im Kosovo hat sich noch kein Parteiensystem etabliert. Während die Bevölkerung die Einheit wünscht, driften die politischen Führer auseinander  ■   Aus Prishtina Erich Rathfelder

Nato – Rugova – UÇK!“, riefen die Menschen noch vor wenigen Monaten in den Flüchtlingslagern in Albanien und Makedonien. Sie wollten die politische Einheit ihrer Repräsentanten im Einklang mit der Politik der internationalen Gemeinschaft. Der „Präsident“ des Kosovo, Ibrahim Rugova, und seine Partei, die „Demokratische Liga Kosova“ (LDK), sollten sich nach dem Wunsch der Vertriebenen mit der UÇK und ihrer Führung unter Hashim Thaci aussöhnen. Und dann gemeinsam für Rückkehr nach Kosovo kämpfen.

Auch nach der durch die Nato ermöglichten Rückkehr wollen die meisten Kosovo-Albaner die führenden Politiker Kosovos in einer Aktionseinheit sehen. „Die meisten Menschen glauben, dass Frieden, Demokratie und die staatliche Unabhängigkeit nur durch die Einheit der Kosovo-Albaner erreichbar ist“, sagt Baton Haxhiu, Chefredakteur der Tageszeitung Koha Ditore. Doch die politischen Führer der Kosovo-Albaner driften immer weiter auseinander.

Innerhalb der beiden großen Strömungen geht der Spaltpilz um. Angesichts der schon für nächstes Frühjahr angepeilten Wahlen schießen neue politische Parteien aus dem Boden. Die Machtbasis der Führung der ehemaligen UÇK, aber auch jene der LDK, beginnt zu bröckeln.

Seit der Auflösung der UÇK am 20. September verspricht ihr politischer Führer, Hashim Thaci, eine neue politische Partei aufzubauen. Doch bisher ist noch nicht viel geschehen. Die militärische Struktur wird in das zivile Kosovo-Corps integriert, noch am Ende dieses Jahres ist diese Wandlung abgeschlossen. Auch der politische Arm hat kaum mehr etwas zu sagen. Kurz nach dem Einmarsch der Nato-Truppen versuchte die UÇK, eine neue Verwaltung aufzubauen, die mit den Interessen der konkurrierenden LDK kollidierte. Heute ist die UN-Mission intensiv dabei, die Selbstverwaltungen der Albaner zu zerschlagen oder an die Leine zu nehmen. Mehr und mehr bleibt der Übergangsregierung, der Thaci vorsteht, nichts anderes übrig, als das nachzuvollziehen, was die UN-Verwaltung unter Bernard Kouchner vorgegeben hat.

Thaci bringt sich damit in Gegensatz zu vielen seiner Anhänger, die den Machtverlust nicht ohne weiteres hinnehmen wollen. Es fehlt aber auch diesen Leuten an Ideen und politischen Konzepten. Die UÇK war zwar von jeher auch eine politische Bewegung, die in verschiedene Fraktionen zerfiel. Die linken Traditionalisten hingen sozialistischen Vorstellungen an und sind damit auch im Kosovo ein veraltetes Modell. Selbst nationalistische Positionen, die auf eine Vereinigung des Kosovo mit Albanien zielen, sind nach den Erfahrungen der Flüchtlinge im Nachbarland schwächer geworden. Neue politische Konzepte scheinen bislang nicht in Sicht zu sein.

Die Albaner seien arbeitsame Leute, sie wollten das Land aufbauen und sehnten sich nach Stabilität. Mehr ist Hashim Thaci über das Programm einer neuen Partei nicht zu entlocken. Im Hintergrund wird vor allem um Posten und persönlichen Einfluss gerangelt. Das führt zu Enttäuschungen. Einer der Weggefährten Thacis, Bardhyl Mahmuti, gründet jetzt eine eigene Partei. Der Mitdreißiger bleibt auf die Frage, welche Interessen die Partei vertreten will, ebenfalls vage. Einmal gibt er sich mehr konservativ, einmal mehr sozialdemokratisch.

Bei Arbeitern der Firma Kosova Transport wird der „Ex-Premierminister im Exil“, Bujar Bukoshi, lebhaft begrüßt. Der Arzt, der über 10 Jahre im deutschen Exil zubrachte, wird vor allem von Direktoren der Betriebe, anderen Mittelständlern wie auch von einem Teil der Offiziere der UÇK hofiert. Dass er auf Sympathien bei den Arbeitern stößt, überrascht den einstmals treuen Parteigänger Rugovas sichtlich. Denn er ist kein Volkstribun, ein eher zurückhaltender Mann, der für eine liberale Demokratie und die Menschenrechte eintritt. Die Arbeiter lassen ihn und Präsident Rugova hochleben.

Doch im Verhältnis Bukoshi/Rugova knirscht es. Bukoshi ist mit seinem Präsidenten Rugova übers Kreuz geraten und spielt mit dem Gedanken, eine liberal-demokratische Partei zu gründen. Rugova sei zu inaktiv gewesen, habe sich während der Vertreibung und auch danach nicht an die Bevölkerung gewandt, erklärte Bukoshi in letzter Zeit wiederholt. Viele ehemalige Mitstreiter und Berater aus dem engsten Kreis haben den Präsidenten schon verlassen, von den rund 600.000 ehemaligen Mitgliedern ist nur noch ein Bruchteil aktiv. Umso überraschter musste Bukoshi nach seiner Rückkehr feststellen, dass viele Kosovaren ihrem Präsidenten alles verzeihen und weiter zu ihm stehen.

Rugova hält sich weiter bedeckt und empfängt Gäste nur in seinem Privathaus. Er zeigt sich im Grundsatz einverstanden mit der Politik der internationalen Gemeinschaft, bringt nur hier und da milde Kritik an. Und er beruft sich auf die Loyalität der Mitglieder der LDK.

Rugova warte ab, sagen seine Anhänger. Die Lage wende sich wieder zu seinen Gunsten, meinen auch internationale Beobachter. In nächster Zukunft werde es kein an gesellschaftlichen Interessen ausgerichtetes Parteiensystem geben. Weder die UÇK noch die LDK seien in der Lage, sich von einer Nationalbewegung in eine Richtungspartei zu transformieren.

So wird die Popularität der Führer über die Stärke der Parteien entscheiden. Und da kann es Rugova noch immer mit einem angeschlagenen Thaci und dem unentschlossenen Bukoshi aufnehmen.