: Ehrenpreise sind Nebensache
Polnische Künstler steigen derzeit im Kurs bei Galeristen und Sammlern. Doch in Polen selbst existiert kein Markt ■ Von Harald Fricke
Miroslaw Balka stellt bei Barbara Gladstone in New York aus. Piotr Uklanski hat seine Disco-Treppe an das Museum Ludwig in Köln verkauft. Nur der Kontakt zu westlichen Sammlern, Galeristen und Museen gibt polnischen Künstlern und Künstlerinnen zehn Jahre nach Mauerfall eine Chance, international wahrgenommen zu werden. Zur letzten documenta war mit Pawel Althamer ein einziger Künstler aus Polen eingeladen. Und die lobende Erwähnung auf der diesjährigen Biennale in Venedig für Katarzyna Kozyras Videoinstallation mit intimen Aufnahmen aus einem Männerbad ist gleich wieder im Streit um den Stellenwert der nationalen Pavillons untergegangen.
Für die Entwicklung von polnischer Kunst sind Ehrenpreise Nebensache, solange im eigenen Land kein Markt existiert. Tatsächlich gibt es lediglich in Krakau ganze zwei professionelle Galerien, die zeitgenössische Kunst präsentieren, anstatt sich mit dem Verkauf von Schmuck oder Grafiken durchzuwursteln. Im restlichen Polen werden Galerien weiterhin entweder im öffentlichen Auftrag als städtische Einrichtungen oder in Form von selbst organisierten Kunstvereinen betrieben. Tageszeitungen berichten kaum über Kunst, die einzige Fachzeitschrift hat eine Miniauflage, und über politische Konzeptkunst wurden in den letzten zehn Jahren sage und schreibe zwei Bücher veröffentlicht.
So bilden in Warschau drei Institutionen den Rahmen für aktuelle Kunst: Anda Rottenberg von der Nationalgalerie Zacheta kümmert sich mit Gruppenausstellungen um Kontakte zu den früheren Warschauer-Pakt-Staaten und ist auch für die Biennale-Präsentation des Landes verantwortlich; die 1966 gegründete städtische Foksal-Galerie zeigt Konzeptualisten wie Tadeusz Kantor und den Nachwuchs in Sachen Installationen, Fotos und Objekte. Darüber hinaus lädt das in dem schlecht rekonstruierten Barockschloss untergebrachte Institut für zeitgenössische Kunst (CCA) seit 1990 internationale Stars wie Joseph Kosuth, Jenny Holzer oder Rosemarie Trockel ein, um mit etablierten Namen Sponsoren für einheimische Aktivitäten zu gewinnen. Nur mit Unterstützung von Firmen und westlichen Partnerinstitutionen – bei Trockel war es das Goethe-Institut – sind die Events zu bezahlen. Immerhin kostete eine Lichtinstallation des Amerikaners James Turrell vor zwei Jahren 150.000 Dollar. Andererseits hat man im Haus keine Berührungsängste und lädt schon mal eine Fashion-Show mit John Gallianos oder Thierry Muglers Kleidern aus den Sammlungsbeständen des niederländischen Museum Groningen ein.
Erst diesen Sommer profitierte der aus Danzig stammende Dominik Lejman von einem solchen Austausch: „Wäre die Show von Rosemarie Trockel nicht gewesen, hätte man vermutlich keine fünf neuen Videobeamer für das Haus angeschafft. Jetzt hatte ich zumindest die technischen Vorraussetzungen, um meine Arbeit installieren zu können.“ Lejman, der einige Jahre in London studiert hat, projiziert gefilmte Performanceszenen auf bemalte Leinwände. Durch die Kombination scheint sich die Aktion dem Bildträger räumlich einzuprägen. Für diese eher spirituelle Art der Collage braucht Lejman großzügige Räume, damit sich das Zusammenspiel von Video und Gemälde auf den Betrachter überträgt. In Gdynia, einem Ort unweit von Danzig, hat er sein Atelier auf dem Boden eines Einfamilienhauses eingerichtet. Hier reicht der Abstand zur Wand gerade mal aus, um eine Miniaturversion seiner Installation aufzubauen. Vom idealen White Cube ist der mit Möbeln vollgestellte Speicher weit entfernt.
Auch der 1968 geborene Piotr Wyrzykowski ist für sein Internet-Projekt auf das Warschauer CCA und dessen Apparate angewiesen. Ohne die Großbildprojektion im neuen Mediensaal bliebe die Arbeit auf Wyrzykowskis Homepage beschränkt – Netzkunst für den Hausgebrauch. Dabei geht es in „There is no body“ um die Veränderbarkeit des Körpers im virtuellen Raum. Mal lässt er einem imaginären David alle möglichen Schwellungen wachsen, mal kann man in „Cyborg Sex Manual“ roboterartigen Gliederpuppen bei der Liebe zuschauen, auf Knopfdruck auch mit menschlichem Antlitz, imitiertem Fleisch und in Farbe. Die Gender-Spielerei von Wyrzykowski würde im Westen schnell unter studentischen Fantasien aus dem Medienseminar verbucht werden. Für polnische Verhältnisse ist seine Aneignung des Computers jedoch Pionierarbeit. Umgekehrt bringt Wyrzykowski, der bereits 1997 im Museum of Modern Art ausgestellt wurde, dem „Media Art Lab“ des CCA einige kuratorische Credibility. Immerhin gehören Philips, Suzuki oder die Tageszeitung Gazeta Wyborcza zu den Förderern des CCA.
Insofern fällt es einigermaßen schwer, zwischen dem Interesse der Künstler und institutionellen Strategien der Selbstbehauptung zu trennen. Wer nicht in diese Gemengelage passt, gerät schnell ins Abseits des Betriebs. So ist der Maler Tomasz Ciecierski, Jahrgang 1945, für seinen Lebensunterhalt auf Ausstellungen in Paris und Rotterdam oder die Rührigkeit seiner Düsseldorfer Galerie angewiesen, seit er zurückgezogen in einem Vorort von Warschau arbeitet und nicht mehr an der staatlichen Kunstakademie unterrichtet. Dabei hängt das Schicksal oft auch an den historischen Verschiebungen. Anders als in der DDR gab es für polnische Künstler schon in den sechziger und siebziger Jahren weitreichende Reisemöglichkeiten. Deshalb waren Roman Opalka, Tadeusz Kantor oder auch Ciecierski im Westen bekannt. Als ältere Generation sind sie wiederum kein Symbol mehr für den Aufbruch, der gerade im internationalen Transfer nach 89 ausschlaggebend für Karrieren wurde – Ciecierski malt noch immer wie vor 20 Jahren.
Besonders auffällig ist der Bruch mit der Geschichte in Danzig. Dort wurde der Kunstverein letztes Jahr in ein ehemaliges Badehaus verlagert. Zuvor hatten Aneta Szylak, die das Badehaus heute leitet, und der Bildhauer Grzegorz Klaman in einem alten Hafenkontor die WYSPA-Galerie als unabhängigen Kunstraum organisiert. Mittlerweile bestimmt die enge Zusammenarbeit der beiden das Programm: Sämtliche Events sind auf Klaman zugeschnitten, es gibt keine Gruppenausstellung und keine Podiumsdiskussion ohne seine Beteiligung, und im Frühjahr hatte er eine umfassende Soloshow, die mit einem 186 Seiten dicken Katalog begleitet wurde – unterstützt vom Ministerium für Kultur. Kein Zweifel, mit dem Badehaus wurde auch der ehemalige Industrial-Performer Klaman zur Institution.
Gleichwohl hat sich der Kunstverein wegen der starken Personalisierung binnen sechs Jahren so etabliert, dass dort letztes Jahr die Ars-Baltica-Biennale stattfand. Seither gibt es ein Gastatelier für skandinavische Künstler, jetzt sucht Aneta Szylak nach Verbindungen zur britischen Kunstszene. Vielleicht wird man demnächst bei Ausstellungen ja Klamans neuere Anatomiefotos neben eingelegten Kuhschädeln von Damien Hirst wiederfinden. Auch auf dem internationalen Kunstmarkt.
Am Freitag eröffnet im Stockholmer Moderna Museet Museum eine Ausstellung über osteuropäische Kunst nach dem Mauerfall.
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