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■ KommentarTragische Farce  Österreich: Die Konservativen wollen die Macht – mit Haider

Wenn auch der Rest der Menschheit seine geschichtlichen Ereignisse – nach Marx – immer zweimal durchspielen mag, einmal als Tragödie, dann als Farce, so ist Österreich ein Sonderfall: Schon die Tragödie geschieht als Farce. Jetzt überrascht die ÖVP, die konservative Volkspartei, das Land und die Welt mit der vollmundigen Ankündigung, in die Opposition zu gehen. Da die Sozialdemokratie niemals mit Haiders rechtspopulistischer FPÖ koalieren mag, würde daraus notwendigerweise die Unregierbarkeit des Landes folgen und damit zwingend Neuwahlen zu Beginn des Jahres 2000.

Da aber der Chef der konservativen ÖVP, Wolfgang Schüssel, ein begnadeter Taktierer ist, wird es wohl anders kommen: Wenn jetzt SPÖ-Chef Viktor Klima, der große Verlierer des Wahlsonntags vom 3. Oktober, mit der Bildung der Regierung beauftragt wird, dürfte er sich an der ÖVP – Opposition, Opposition! – die Zähne ausbeißen. Die Granden der Volkspartei lehnen sich zurück und delektieren sich am Debakel der Sozialdemokraten.

Irgendwann im November wird die ÖVP wohl ihre Basis und Funktionäre zu einem Sonderparteitag laden, indes das Land nach Stabilität und Verantwortungsbewusstsein ruft. Dann werden die Delegierten Wolfgang Schüssel drängen, aus Sorge um das Land von seinem Oppositionsversprechen abzurücken und die Chance wahrzunehmen, erstmals seit 30 Jahren einen Mann der Volkspartei ins Kanzleramt zu schicken. Schüssel wird sich nicht lange zieren und mit den Freiheitlichen eine Regierung bilden – wobei unbedeutend ist, ob diese direkt am Kabinett beteiligt sind oder deren Beschlüsse tolerieren, ob Haider selbst in die Regierung zieht oder nur einen Emissär in diese entsendet.

Auf jeden Fall wäre die Wende perfekt. Die Konservativen spekulieren nämlich darauf, dass der Widerstand sich in Grenzen hielte: Das Ausland hätte sich in den Monaten seit der Wahl an den Aufstieg der Freiheitlichen gewöhnt, die Sozialdemokraten wären, von langwierigen Koalitionsgesprächen entnervt, vollends in eine dauerhafte Depression gefallen, und die kritische Öffentlichkeit des Landes wäre von den wochenlangen Taktierereien friedlich eingelullt. Das Ergebnis wäre ein Österreich, in dem kein Mensch, der einigermaßen bei Vernunft ist, gerne leben möchte. Robert Misik

Bericht Seite 10

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