: Nur Montag ist sicher
Wann fühlen Sie sich sicher? Foto-Aktion in S-Bahnhöfen fördert Wahrheiten zutage ■ Von Ulrike Winkelmann
Lucia fühlt sich am „Montag“ sicher. Soviel steht fest, und so hat die Sieben-Jährige es auf die kleine Schiefertafel geschrieben. Mit der Tafel in der Hand hat die Fotografin Marily Stroux Lucia abgelichtet; das Foto hängt jetzt an einer Wäscheleine im S-Bahnhof Harburg Rathaus neben vielen anderen.
„Wann fühlen Sie sich sicher?“, haben Marily Stroux und ihre Mitarbeiterin in dieser Woche die Menschen in den S-Bahn-Stationen Neugraben, Harburg Rathaus und Wilhelmsburg gefragt. Wer schriftlich auf der Tafel antworten mochte, wurde fotografiert.
Nicht alle Antworten sind so rätselhaft wie die Lucias. Der etwas blasse Teenager fühlt sich sicher, „wenn mein Outfit stimmt“. Adema H. und sein Freund haben geschrieben: „Sicher für uns Exil-Leute – das gibt es in Deutschland nicht.“ Zeena und Yana H., neun und acht Jahre alt, beschließen, dass sie sich „zu Hause“ am sichersten fühlen.
Nicht ganz einfach ist es, in der unwirtlichen Kachelwüste des Bahnhofs Harburg Rathaus die Menschen zu stoppen. „Aber wenn sie die Frage hören, reagieren die meisten Leute ganz vertrauensvoll“, sagt Marily Stroux. Gar nicht alle verstehen die Aktion so, wie sie gemeint ist – auf die S-Bahn gemünzt. Die zehnjährige Melina muss allerdings nicht lange überlegen. „Ich fühle mich unsicher, wenn die Bahn hibbelig wird.“ Gitta Nölle, 47, fühlt sich sicher, „wenn die roten Sicherheitsleute mitfahren“. Die Blauen, sagt sie dazu, „die mag ich nicht“.
Die blauen Sicherheitsleute der Firma „Securitas“ sind auch da. Sie reagieren empfindlich, wenn sie auf die Vorwürfe angesprochen werden, die derzeit in den Hamburger Medien gegen die Arbeitsweisen der S-Bahn-Sicherheitsfirma erhoben werden. Sicher fühlt er sich, „wenn die Mopo meine Arbeit nicht schlechter macht, als sie ist“, schreibt Securitas-Wächter Stefan R. mit etwas zittriger Hand aufs Täfelchen und posiert breitbeinig.
Organisiert haben die Foto-Aktion die Sicherheitskonferenz Harburg und die Junge Volkshochschule; die S-Bahn Hamburg ist mit Info-Stand und Pressesprecherin Karin Fech vor Ort. Das Sicher-heitsgefühl der Menschen in der S-Bahn, sagt Fech, „hat sich seit dem letzten Jahr enorm gesteigert“.
Laut Umfrageergebnissen haben sich Mitte 1999 sechzig Prozent der Befragten in den Zügen und 54 Prozent in den Stationen „uneingeschränkt sicher gefühlt“. Im Februar 1998 galt dies nur für 33 Prozent in Zügen und 30 Prozent in Stationen. „Die Aufstockung des Sicherheitspersonals ist der Hauptgrund für diesen Aufwärtstrend“, gibt Fech an. Die meisten Leute fühlten sich sofort besser, „wenn Uniformen zu sehen sind“, sagt sie. Wenig später schreibt ein dünner Langhaariger in roter Lackhose: „Auch Junkies fahren Bahn.“
Wenn man den Menschen so eine Tafel in die Hand drückt und sie fotografiert, sagt Marily Stroux, „muss man keine großen Manöver machen, um etwas von ihnen zu erfahren.“ Kleine und große Wahrheiten können so ganz schnell auf Hochglanzpapier gebannt werden. Und vielleicht auch dazu beitragen, dass sich alle an sieben Tagen die Woche sicher fühlen.
Am 6. November werden die Fotos bei der Veranstaltung „Frauen unterwegs in Harburg... aber sicher!“ ab 15 Uhr im Foyer der TU Hamburg-Harburg zu sehen sein.
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