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Apfelkuchen in Santa Monica

■ Postfeminismus ist, wenn Frauen wissen, warum sie weinen: „Nachwelt.“ von Marlene Streeruwitz emanzipiert eine Heulsuse

Keine Autorin lässt ihre Frauengestalten so sehr leiden wie Marlene Streeruwitz. Immer neue Opfer-Heldinnen müssen in den Romanen der Österreicherin auf Männer warten, an Männern scheitern, über Männer traurig sein. Ihre Minisätze, zu rhythmisch-elliptischen Monologen gereiht, sind kondensiertes Frauenleid: „Quälte sich. Ließ sich quälen. Es war ja alles klar. Er wollte nicht, was sie wollte, und was er wollte, war ihr zu wenig.“ Denkt Margarethe in Streeruwitz' jüngstem Roman „Nachwelt.“. Jeder Punkt ein Hieb in den Bauch der Emanzipation: Der Unterschied zwischen Prä- und Postfeminismus ist, dass Frauen jetzt wissen, warum sie weinen.

Auch Margarethe, 39 Jahre alt und aus Wien, erhält ausführlich Gelegenheit, sich ungeliebt zu fühlen. Eigentlich wollte sie mit Helmut nach Amerika fliegen. Aber Helmut muss sich wieder einmal um Exfrau und Stieftochter kümmern, und so landet Margarethe im März 1990 allein in Los Angeles. Sie tröstet sich mit Arbeit: Für eine Biografie Anna Mahlers, der Bildhauerin und Tochter Gustav Mahlers, und Alma Mahler(-Werfels) interviewt Margarethe die Menschen, die die Bildhauerin gekannt haben. Sie hat Glück: Sie trifft auf freundliche Ex-Exilierte, nunmehr Wahlkalifornier, die sie bei ihrem Projekt unterstützen wollen. Doch aus ihren Aussagen entsteht kein Porträt Annas. Nichts als den je eigenen Wunsch, eine besondere Rolle in Annas Leben gespielt zu haben, nimmt Margarethe aufs Tonband auf. Die Protokolle sind Zeugnisse nicht nur der Unmöglichkeit, Personen aus Erzählungen zu rekonstruieren, sondern auch einer sprachlichen Unfähigkeit: Anna bleibt unbekannt, weil das Emigranten-Englisch ihrer Freunde kein Gedächtnis hat. Margarethe wird die Biografie nicht schreiben: „Vor ihr war diese Frau sicher.“

In „Nachwelt.“ überführt sich der historische Roman selbst: Am Beispiel Anna Mahlers führt Streeruwitz vor, dass Doku-Fiction immer nur die Dokumentation von Fiktionen sein kann. Folgerichtig bleibt es den Lesern überlassen, über den vermeintlichen Faktenkern des fingierten Biografieprojekts zu spekulieren.

Margarethe (und mit ihr die Leser) wird um die Wahrheit über Anna Mahler betrogen. Aber irgendwo zwischen dem Strand von Venice, den Einkaufszentren von Santa Monica (ein neuer Hosenanzug!) und den vielspurigen Straßen, die Margarethe pausenlos entlangrollt, fällt ihr auf, dass sie auch ohne Helmut sein kann. „Sie bestellte noch einen Apfelkuchen und Kaffee. Den Apfelkuchen à la mode. Auch das hatte er ihr beigebracht. Sie aß den ersten Löffel Vanilleeis auf sein Wohl.“

Merkwürdigerweise ist es Streeruwitz zu verzeihen, dass sie einer Heulsuse erst den Mann wegnimmt, um sie dann in teure Klamotten zu stecken und mit Süßigkeiten zu füttern, damit sie sich wieder gut fühlen darf. Das ist zwar ein Klischee, funktioniert aber trotzdem hervorragend, weil es nüchtern, in spröder Langsamkeit und ganz ohne Heilsversprechen serviert wird. Margarethe tauscht in der kalifornischen Zeitlosigkeit ihr Unglück nicht gegen Glück, sondern gegen die desillusionierte Vermutung ein, dass nach Helmut wohl ein anderer kommen werde. Und dann wieder ein anderer. Und wahrscheinlich wird sie zurück im kalten Wien wieder alles dran setzen, sich quälen zu lassen. Ulrike Winkelmann

Marlene Streeruwitz: „Nachwelt. Ein Reisebericht“. S. Fischer, Frankfurt/Main, 1999, 399 Seiten, 39,90 Mark

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