Die entscheidende Schlacht um Grosny hat begonnen

■  Russische Panzer verstärken ihre Offensive gegen tschetschenische Rebellen. Joschka Fischer drängt bei Amtskollege Iwanow auf eine politische Lösung

Grosny/Moskau (rtr/AP/taz) – In ihrem fast zweiwöchigen Krieg in Tschetschenien sucht Moskau jetzt offenbar eine Entscheidung: Gestern nahmen russische Truppen bei ihrem Marsch auf die Hauptstadt Grosny die strategisch wichtige Stadt Goragorski ein. Bei den Kämpfen seien mindestens ein russischer Soldat getötet und vier verletzt worden, meldete die russische Nachrichtenagentur Itar-Tass. Das nächste Ziel der Truppen war das etwa 15 Kilometer von Grosny entfernte Dorf Dolinski. Ein Sprecher der russischen Streitkräfte sagte im Fernsehsender NTW, die Armee habe mit einer „Säuberungsaktion“ begonnen, um die „Banditen“ aus der Region zu vertreiben.

Gleichzeitig geriet eine Kolonne von etwa 100 russischen Panzerfahrzeugen rund 25 Kilometer westlich von Grosny in heftige Kämpfe mit tschetschenischen Soldaten. Arbi Barajew, ein Kommandeur der Tschetschenen, sagte, seine Männer hätten vier Panzerfahrzeuge zerstört. Zuvor hatte das tschetschenische Kommando in Grosny erklärt, tschetschenische Einheiten hätten ein drittes russisches Kampfflugzeug abgeschossen. Die russische Regierung dementierte.

Unterdessen kündigte der Kommandeur der Bundestruppen in der Region, General Wiktor Kasantsew, für heute den Beginn der zweiten Phase der Militäraktion an. Die Truppen würden südlich der im Norden eingerichteten Sicherheitszone vorrücken. Dann müssten sich die Rebellen darauf gefasst machen, „jederzeit und überall“ angegriffen zu werden, sagte Kasantsew. Unklar war, ob dabei nur Bodentruppen zum Einsatz kommen sollten.

Derweil hat Bundesaußenminister Fischer gestern in St. Petersburg nach einem Gespräch mit dem russischen Außenminister Igor Iwanow erneut auf eine politische Lösung des Tschetschenien-Konflikts gedrängt. Zum Abschluss eines zweitägigen Besuches sagte Fischer, Deutschland respektiere die territoriale Integrität Russlands, beobachte aber mit großer Sorge die Ereignisse in Tschetschenien. Er fürchte, dass der Militäreinsatz zu einer Katastrophe für die Menschen führe. Iwanow sagte, Russland habe nach Ende des Tschetschenien-Krieges von 1996 einen Dialog mit der tschetschenischen Führung gesucht und die Truppen abgezogen. Jetzt sei Russland weiter zu Gesprächen mit der tschetschenischen Führung bereit, doch zuerst müsse sie die Terroristen ausliefern.

Unterdessen hat sich die Zahl der Flüchtlinge aus Tschetschenien auf 170.000 erhöht. Besonders betroffen ist Tschetscheniens Nachbarrepublik Inguschetien. Deren Präsident Ruslan Auschew appellierte an Moskau, der Republik umgehend finanzielle Hilfe zur Verfügung zu stellen. Mit einer besonderen Erklärung der steigenden Flüchtlingszahlen wartete die russische Informationsagentur Novosti auf. In einem Bericht über den Flüchtlingsexodus heißt es, die tschetschenische Führung selbst habe die Flucht inszeniert beziehungsweise Widerwillige mit Gerüchten über Luftangriffe der föderalen Truppen bearbeitet. Überdies würden Tschetschenen in benachbarte Republiken flüchten, dort die „humanitäre Hilfe einsammeln“ und anschließend wieder zurückkehren. bo