Die Montagsglosse: Ibiza (irre Nächte, sag' ich dir)
■ 140-mal begann die Woche mit Hellmuth Karasek. Eine Lobrede
Eigentlich klingt das Wort „Glosse“ sehr dumm. Als Glosse wird bezeichnet: a) spöttische Randbemerkung b) kurzer Kommentar in Tageszeitungen mit polemischer Stellungnahme zu Tagesereignissen. Wer Glossen schreibt, gilt mitnichten als Glossist, sondern vielmehr als Glossator, bzw. Glossograph steht im Fremdwörterlexikon. Früher verwechselte ich Hellmuth Karasek, den belesenen Glossator, häufig mit Matussek, von dem man mir sagte, das sei ein ganz Schlimmer.
Das Schöne an Karaseks Montagsglossen im Tagesspiegel: Sie waren so lang. Um den bis jetzt geäußerten Gedanken aufzuschreiben, bräuchte Karasek zum Beispiel etwa dreimal soviel, wie dieser Text hier lang ist, und ein Shakespeare-Zitat ist sicher auch mit dabei. Das Schöne an Karaseks Glossolalie: Darüber war immer ein Bild, das den gedankenverlorenen Autor zeigt, wie er sein Kinn krault.
Auf raffinierte Weise verband Karasek Meldungen darüber, wo und was Schröder am liebsten isst, mit dessen Ausspruch, Politik müsse auch mal über den eigenen Tellerrand gucken, gab der interessanten Ost-West-FKK-Problematik eine überraschende Wendung, indem er am Ende lustig den „Volksmund“ zitiert („Wo gesungen wird, da laß dich ruhig nieder! Böse Menschen zeigen keine Glieder.“), verortete eine schmunzelige Geschichte in der Zeit, „als wir Fehler noch mit Vau“ schrieben, und kam immer wieder auch gern auf Susan Stahnke und Fußball zu sprechen. Nichts Menschliches ist dem Glossatoren fremd.
Seine Überleitungen sind legendär – wenn er zum Beispiel von den 13 Panzern, die die Nato in Jugoslawien totgeschossen hat, zum lustigen Idiom kam: „Dreizehn, dachte ich, jetzt schlägt's dreizehn“ – , seine Wortspiele spitzenmäßig („S. Freud und Leid sozusagen“), die Zitate immer wieder originell: „Der Ball ist rund. Und ein Spiel dauert 90 Minuten.“
Im Plauderton, gern auch in Alltagssprache kam das so daher; einer Alltagssprache, bei der man immer das Gefühl hatte, dass er sie in seinem Alltag nie benutzen, sondern im Dienst nur – mit Füller und violetter Tinte, wie man hört – schreiben würde, um sich kumpelhaft an den Leser anzuschmiegen: „Ibiza (irre Nächte, sag' ich dir)“, bzw. „echter Wahnsinn, sag' ich dir“. Manchmal stand irgendwo „nix“. Zuvor wird er „nichts“ geschrieben haben, dann hat er's durchgestrichen und „nix“ draus gemacht, weil das lockerer klingt.
Oft sprach Karasek auch mit imaginären Anführungszeichen und verstärkte die Imagination durch Wiederholung („absoluter Wahnsinn“) oder erfand neue Wörter: „mehl-chauvinistisch“. Das Naheliegendste war Hellmuth's (!) bester Freund, und die schönste Montagsglosse erschien am 27. September und beschäftigte sich mit dem „Weichei“. Ein kolossales Lehrstück hemmungsloser Glossolalie, das mit der Sloterdijkschen Frage begann, ob man auf dem Mount Everest ein hart gekochtes Frühstücksei zubereiten könne, endlos bei Eierzubereitungsfragen nebst Ehefau und Ehemann verweilte, das männliche, „enteierte“ „Weichei“ streifte, lustig ein „ach du dickes Ei“ plus Kunzelmann dazwischenwarf, einen Skiurlaub mit Familie erwähnte, um dann klassisch auf die eingangs gestellte Frage zurückzukommen.
Ein toller Ballaballa-Text; eine anrührende Geschichte Karasekscher Symptomatik. Man spürte sein heißes Sehnen, irgendwie lustig-charmant wie Max Goldt zu sein, und alles ging daneben. Wahrscheinlich hatte Karasek begonnen zu kiffen, um seine Texte irgendwie lebendiger, assoziationsreicher zu gestalten und dabei übersehen, dass Hasch das Texttiming verschlechtert.
Im schutzlos Misslungenen scheint das bemüht Konstruierte auf. So stellt sich dann Rührung ein, ein schönes herbstliches Vanitas-Gefühl. Die mutigen Karasekschen Montagsglossen gemahnten an die Vergeblichkeit allen irdischen Bemühen. ‚/B‘Seit dieser Woche gibt es sie nicht mehr. Detlef Kuhlbrodt
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