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Wütende E-Mails an den ersten Vorsitzenden

■ Krach in der Metall-Gewerkschaft: Jüngere Gewerkschafter protestieren gegen den Plan von Zwickel, eine Rente mit 60 einzuführen. Nur wer älter ist, kassiert aus dem Tariffonds

Berlin (taz) – Es ist wieder Zeit für gute Nachrichten: Noch nie soll Klaus Zwickel so viel Post bekommen haben wie in den vergangenen Tagen. „Wir wollen die Rente mit 60, Klaus.“ „Lass dich von den Arbeitgebern nicht unterkriegen.“ So oder so ähnlich soll es in neun von zehn Briefen stehen. In der IG-Metall-Zentrale ist man nach den Wochen der schweren Kritik dankbar für jede Aufmunterung.

Ein Blick auf die eigene Homepage könnte die gewerkschaftliche Freude trüben: „Das Maß der Belastungen ist langsam, aber sicher voll“, stöhnt Ernst A. Sassmann. Zwickels Idee, Jüngere für den frühzeitigen Ausstieg der Älteren zahlen zu lassen, kommt nicht gut an. „Als 25-Jähriger ist mein Gehalt eh nicht gerade üppig“, schreibt Rainer Hoffmann. „Wer gibt den Gewerkschaften das Mandat, über mein Geld zu entscheiden?“

Die Jungen fühlen sich ausgespielt. Rainer Hofmann, Ernst Sassmann und andere Kollegen drohen für den Fall der Fälle damit, ihre IG-Metall-Mitgliedsausweise zurückzugeben. Die ersten Metall-Beschäftigten wenden sich in ihrer Not sogar schon an die Gegenseite. Ungewöhnliche E-Mails erreichen den Arbeitgeberverband Gesamtmetall: „Verhindern Sie unter allen Umständen den von der IG Metall vorgelegten Entwurf“, fordert Martina W. aus Dormagen. Ein „jüngerer Arbeitnehmer (und Börsianer)“ aus Wüstenrot bittet: „Bleiben Sie hart.“

Prominentester Fürsprecher des Zwickel-Modells ist Arbeitsminister Walter Riester (SPD). Im heutigen Spiegel kontert der ehemalige IG-Metall-Vize den Vorwurf, die Gewerkschaft forderte von den Jüngeren eine Zwangsabgabe zu Gunsten der Älteren: „Generationengerechtigkeit rechnet sich nicht in Mark und Pfennig.“ Wenn Alte ihren Job räumen, bestehe eine Chance, „mehr junge Leute in Arbeit zu bringen“, glaubt der Arbeitsminister.

Für Riester ist die Rechnung einfach: Da nur Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu gleichen Teilen in den Fonds einzahlen sollen, werde das Modell die Rentenkasse „keine Mark zusätzlich“ kosten.

Die Rentenversicherer verlangen bis zu 100.000 Mark Vorauszahlung pro 60jährigen, um die fünf Jahre früher beginnende Rentenzahlung und die daraus folgenden Abschläge auszugleichen. Möglich, dass im ersten Jahr nicht genug Geld im Fonds ist, um die Abschläge zu zahlen.

Das schreckt die IG Metall keineswegs. Finanzielle Engpässe müssten möglicherweise über den Kapitalmarkt ausgeglichen werden, sagt der IG-Metall-Pressesprecher.

In der Regierungskoalition hält sich die Freude über das neue Rentenmodell in engen Grenzen. Die Rentenexpertin der Grünen im Bundestag, Kathrin Göring-Eckardt, sagt, das Konzept sei „zu kurz gesprungen besonders hinsichtlich der allgemeinen Rentenreform“. Göring-Eckardt fehlt vor allem der Glaube an die Wiederbesetzung der geräumten Stellen. Fraktionschef Rezzo Schlauch ist sicher, dass die Rente mit 60 die November-Runde des Bündnisses für Arbeit nicht überstehen wird.

Vielleicht wird Zwickels schöner Plan schon vorher gerupft. Zwickel verfolge einen Plan zur Vertreibung der jungen Gewerkschaftsmitglieder, heißt es in der IG-Metall-Zentrale in Stuttgart. Skeptisch stimmt die Laufzeit von fünf Jahren: Nach dem Riester/Zwickel-Plan sollen vorerst nur jene, die in den nächsten fünf Jahren in Rente gehen, in den Genuss der Wohltat kommen. Die zeitliche Begrenzung bevorzugt damit nur einen Teil der Arbeitnehmer.

Vor allem aber ist die Frage ungeklärt, was mit den Arbeitnehmern geschieht, die nicht in einem tarifgebundenen Betrieb arbeiten. Zwickel schlägt vor, dass jede Branche einen Tariffonds auflegen soll.

Doch nur 63 Prozent der Arbeitnehmer im Osten arbeiten in einer tarifgebundenen Branche, im Westen sind es immerhin noch 75 Prozent, die theoretisch vom tariflich abgefederten Frühausstieg profitieren könnten.

Ob der Arbeitsminister die Tariffonds per Gesetz für allgemein verbindlich erklären könnte, ist umstritten. Schwer vorstellbar auch, dass Walter Riester nicht vor einem Sturm der entrüsteten Arbeitgeber zurückschreckt, die eine Rente mit 60 ablehnen.

Zwar preisen befreundete Gewerkschaften offiziell die Tarifrente noch als „wegweisendes Modell für eine aktive Alterssicherungspolitik in gesellschaftlicher Verantwortung“ , wie etwa die IG Bauen-Agrar-Umwelt. Hinter dem gespreizten Lob verbirgt sich heftiger Tadel.

Der Fünf-Jahres-Plan sei „ein ziemlich starkes Stück, das mit zukunftsfähigen Strategien nichts zu tun hat“, heißt es im Bundesvorstand der IG Bau.

Die Baubranche diskutiert ihr eigenes Modell. Bei vorzeitigem Ruhestand sollen die Rentenabschläge künftig über eine tarifliche Zusatzrente abgedeckt werden. Arbeitgeber und Arbeitnehmer zahlen in einen Kapitalstock ein. Jeder, der spätestens mit 40 in den Fonds einsteigt, soll so viel herausbekommen, dass er die Rentenabschläge bei vorzeitigem Ruhestand nicht fürchten muss. Bauarbeiter, die heute 55 Jahre alt sind, können nichts mehr davon erwarten. Annette Rogalla

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