Morde unter Sozialdemokraten

■ Die Krimiautorin und norwegische Ex-Justizministerin liest im Literaturhaus aus ihrem neuen Roman „Im Zeichen des Löwen“

Sie ist mit Recht eine der bekanntesten Krimiautorinnen Skandinaviens. Anne Holt kennt bestens die Fakten und die Orte, an denen sich Verbrechen ereignen und aufgeklärt werden. Denn die Norwegerin arbeitete als Anwältin und leitete schon während ihres Jurastudiums ein Rechtsberatungszentrum für Frauen. Sie war in der Osloer Polizeizentrale beschäftigt und mehrere Jahre lang Fernsehreporterin sowie Moderatorin der Nachrichtensendung Dagsrevyen des staatlichen Fernsehens. So ist ihr der Akt des Verbrechens von mehreren Seiten her vertraut: als Objekt von Schuld und Sühne, als blankes Geschehen, dessen Motivlage ergründet und verfolgt werden will, als medienträchtiges Ereignis, hinter dem sich gesellschaftliche Konfliktfelder verbergen, deren Betrachtung auch nach politischer Parteilichkeit verlangen.

Dies hat von Anfang an die thematische Ausrichtung und atmosphärische Umsetzung ihrer Krimis bestimmt. Blinde Göttin führt uns in die korrupte Welt von Behördendschungel und Drogenmillieu. In Das einzige Kind wird die Leiterin eines Heimes für vorgeblich schwererziehbare Kinder ermordet aufgefunden. Nun liegt Im Zeichen des Löwen vor, ein Kriminalroman im Umfeld der herrschenden sozialdemokratischen Politikerkaste Norwegens. Und auch dies ist ein Gebiet, auf dem Holt intime Kenntnisse besitzt: 1996 wurde sie auf den Posten der Justizministerin berufen, den sie allerdings nach kurzer Amtszeit aus gesundheitlichen Gründen wieder räumen musste. Dennoch hat diese Zeit gereicht, um grundlegende Einblicke in die Strukturen der Politelite zu gewinnen.

Wieder ist die Kommissarin Hanne Wilhelmsen unterwegs, Holts lesbische Heldin. Und wieder steht ihr der etwas trottelige Polizeijurist Håkan Sand zur Seite, der – Fans aufgepasst! – ungeduldig der bevorstehenden Geburt seines Kindes entgegenfiebert. Der rätselhafte Fall: Eines Abends wird die norwegische Ministerpräsidentin ermordet aufgefunden, und zwar in ihrem hermetisch abgeriegelten Arbeitszimmer. Der letzte Besucher war ein oberster Richter, der zu untersuchen hat, warum es 1965 in Norwegen zu einer seltsamen Häufung von Todesfällen bei Säuglingen kam. So entfaltet sich nach und nach einerseits ein Krimi samt den obligaten Zutaten und andererseits ein Sittengemälde der norwegischen Gesellschaft, mit viel Verve und Spannung in Szene gesetzt. Eine echte Holt eben. Frank Keil

heute, 20 Uhr, Literaturhaus; Anne Holt: „Im Zeichen des Löwen“. Roman. Piper-Verlag, München 1999, 416 Seiten, 39,80 Mark