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Die Pflicht weiterzumachen

Nach der Reduzierung von Fördermitteln und dem Verlust der Kreuzberger Spielstätte stand das StüKKe-Theater kurz vor dem Aus. Nun hat es in Friedrichshain zumindest eine neue Heimstatt gefunden  ■   Von Hartmut Krug

Es begann 1984 mit David Mamets „Sexual Perversity in Chicago“, und dann ging es weiter mit Stücken über tote Affen und tote Mütter, über Hunde in Tanzstunden und arme Supermänner: Mit schrillen, schrägen, in Form und Ton völlig neuen Stücken aus England und Amerika (u. a. von Hagedorn, Fraser, Greenspan u. a.) brach die Produktionsgruppe „Stücke für die Großstadt“ in die seinerzeit sehr eingefahrene freie Theaterszene Berlins ein.

Neu an der Gruppe war nicht nur, dass sie ausschließlich Ur- und Erstaufführungen herausbrachte. Neu war auch die Konsequenz, mit der sich Regisseur Donald Berkenhoff und die Stükke-Betreiber Holger Steudemann und Stefanie Kuch-Steudemann Mitte der Achtziger nicht mehr als feste freie Gruppe alten Stils verstand, sondern als eine Produktionsgemeinschaft, die sich aus dem großen Pool freier Theaterkünstler in Berlin ihre Mitarbeiter für aktuelle Produktionen zusammensuchte.

„Neue Stücke spielen zu wollen ist noch kein Konzept“, hat die Gruppe 1993 selbst gesagt, als sie die Bühne des „Ensemble Theaters am Südstern“ in einem typischen Kreuzberger Gewerbehinterhof als feste eigene Spielstätte übernahm. Immerhin war sie mit diesem Konzept einzigartig zu einer Zeit in Berlin, als die etablierten Bühnen sich um neue Dramatik kaum kümmerten. Bei StüKKe sah man kaum deutsche, sondern vor allem amerikanische und englische Dramatik: Tätig auch als Lektor eines Theaterverlages, konnte Berkenhoff Texte akquirieren, bevor diese überhaupt übersetzt waren. StüKKe widmete sich Theatertexten, nicht dem damals modischen Cross-over von Körper- und Tanztheater. Und es wählte Texte über Großstadtmenschen, die zwischen Alltag und virtueller Realität taumelten, die durch Szenencollagen, Comics und Videoclips rasten. Also eine Ästhetik der Brüche und Schnitte, der Überblendungen und Collagen. Nicht der Psychologie, sondern einem suchend ausgestellten Zeitgefühl verpflichtet. StüKKe wurde so zu einer aus dem großen, faden, freien Theaterbrei hervorragenden Bühne. Doch die staatliche Förderung erlaubte neben einigen Gastspielen jährlich nicht mehr als zwei Produktionen. StüKKe konnte sich so nicht auf längere Zeit als ständig präsentes Forum einprägen. Als andere Bühnen mit ähnlichen Stücken nachzogen, als vor allem die Baracke ihren Shoppen-und-ficken-Siegeszug antrat, geriet StüKKe ins Hintertreffen.

Dass der prägende Regisseur Donald Berkenhoff Karriere im Stadttheater machte, erst Oberspielleiter in Münster und dann in Tübingen wurde und nur noch gelegentlich im StüKKe auftauchte, merkte man der Qualität der StüKKe-Inszenierungen an.

Verständlich, dass sich der neue Beirat für freie Gruppen nicht auf die alte oder eine neue höhere Förderung für StüKKe einigen mochte. Die recht geringfügige Kürzung, mehr noch aber die Zurückstufung von der dreijährigen Options- auf die von Jahr zu Jahr zu entscheidende Projektförderung, schien dem langjährig planenden StüKKe den Garaus zu machen. Als dann auch noch der Vermieter der Gewerbehöfe in Konkurs ging, hieß das Kündigung und Schluss zum Jahresende in Kreuzberg! Und das zu einem Zeitpunkt, als man mit der „Belgrader Trilogie“ von Biljana Srjblanovic und Igor Bauersimas „Forever Godard“ gerade wieder mit neuem Schwung (und Donald Berkenhoff) gezeigt hatte, wozu man fähig ist: nämlich neue, zeitgenössische Texte und Formen zu präsentieren. Und das nicht mehr nur grell und bunt, sondern auch mit existenzieller Ernsthaftigkeit. Eine Baracken-Schaubühne allein macht schließlich noch keinen Berliner Theatersommer.

Nun aber naht für StüKKe die Rettung aus Friedrichshain. Dort wird gerade mit EU-Fördermitteln in einem ehemaligen Umspannwerk ein Kulturzentrum ausgebaut. „Palisade“ soll dieses Zentrum in der Palisadenstraße heißen, und man will in diesem Haus mit einem Kellerklub und einem Raum für vielfältigste kulturelle Aktivitäten unterm Dach, mit einer Gaststätte und einem hervorragend ausgestatteten 99-Plätze-Theater im Erdgeschoss ab Januar 2000 regional und überregional wirken. Für das Theater gab es viele Interessenten, selbst aus New York kamen Anfragen, das Rennen aber hat StüKKe gemacht.

Das StüKKe-Konzept soll das wenig modifizierte alte bleiben, nur will Berkenhoff jetzt beständig mitarbeiten, also wird man mit seinem Hauptarbeitgeber, dem Tübinger Theater, kooperieren. Auch sonst ist von manch anderen, höchst renommierten Unterstützern die Rede und von professionellen Theaterscouts, die für StüKKe ganz Europa im Blick haben sollen. Was da Werbeprosa bleibt, was sich in der neuen Arbeit auf neuer Spielstätte wirklich dramatisch ausprägt, das wird die Zeit zeigen und der Senat mit entscheiden.

Denn auch wenn StüKKe ein voll ausgerüstetes Theater übernimmt, der Betrieb des Hauses ist von der finanziellen Förderung vom Kultursenat abhängig. Und da mag der umtriebige Staatssekretär von Pufendorf versprechen, sich energisch für Lottomittel einzusetzen, und der Beirat signalisieren, dass man an neue Förderung denkt: Was man StüKKe geben will, muss man anderen wegnehmen. Hier ist eine wirkliche und mutige theaterpolitische Entscheidung nötig.

Denn für den geplanten ganzjährigen Theaterbetrieb mit drei bis vier großen Eigenproduktionen (plus Gastspiele), bei eventueller Zusammenarbeit mit anderen Bühen und mit Festivals, bei den notwendigen festen Absprachen mit Autoren und Verlagen ist selbst bei einem schmalen Management mehr Geld vonnöten, als man gemeinhin einer freien Gruppe zugesteht. Eine rein freie Gruppe entsteht mit dem Organisationsmodell, das StüKKe vorschlägt, ohnehin nicht. Eher wird eine neue Form entstehen aus der Schnittmenge von Stadt- und Privattheater, aus freiem Szenetheater und international wirkender freier Gruppe. Die derzeitigen Förderrichtlinien stehen der sofortigen Unterstützung dieses Modells allerdings noch entgegen.

„Forever Godard“ heißt die letzte Produktion des alten StüKKe-Theaters. Mit einem Stück desselben Autors, mit Igor Bauersimas „Die Pflicht glücklich zu sein“, will das neue StüKKe-Theater im März 2000 eröffnen.

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