: Verteidigt wird das höchste Wesen
Die Hölle, die ist woanders: Studie des Institutes für Sicherheits- und Präventionsforschung ISIP lotet das Sicherheitsempfinden in ausgewählten Stadtteilen aus ■ Von Ulrike Winkelmann
Wie funktioniert Sicherheit in der Stadt? Fühlen sich die BürgerInnen so unsicher, wie manche Medien das glauben lassen wollen? Wenn ja, warum? Mit der „Frage, ob man heute noch ausziehen muss, um das Fürchten zu lernen“, befasst sich eine noch druckfrische Studie des Hamburger Instituts für Sicherheits- und Präventionsforschung (ISIP).
Fünf MitarbeiterInnen dieses kleinen Ablegers des Instituts für Kriminologie an der Universität Hamburg haben im vergangenen Jahr vier ausgewählte Stadtteile besucht. In Rothenburgsort, Wellingsbüttel, im Schanzenviertel und in der Innenstadt wurden BewohnerInnen, Geschäftsleute und Stadtteil-ExpertInnen über ihr Sicherheitsgefühl befragt. Aus der Kombination der Interviews mit den eigenen Beobachtungen der ISIP-MitarbeiterInnen sind eindrückliche Porträts der Viertel und ihrer BewohnerInnen entstanden.
Erstes Ergebnis: Niemand fürchtet ständig um Leib und Leben. Im Hamburger Bürgerschaftswahlkampf 1997 war der Eindruck erweckt worden, daß keineR sich mehr aus dem Haus wage, ohne Angst zu haben, Opfer eines Verbrechens zu werden. Sicherheit und Sauberkeit reimten sich in den Slogans der Volksparteien, und S-Bahn-Schmierereien galten als Beginn allen Übels. Nur wenige Monate später haben die ISIP-Interviewer festgestellt, ist Kriminalität vor Ort in den Stadtteilen kaum mehr ein Thema. Und kein Mensch interessiert sich für Graffiti.
Aber zweitens: JedeR verfügt über Strategien, um vermuteten Gefahren aus dem Weg zu gehen. Welche das sind, ist von Viertel zu Viertel unterschiedlich. Musterhaft lässt sich in den Interviews aus Rothenburgsort nachlesen, wie aus der Wahrnehmung von Andersheit eine Bedrohung gebastelt wird. Auf dem Kieker hat man die üblichen Verdächtigen: „Jugendliche“ und „Ausländer“. Nicht, daß irgendetwas passiert, aber: „Die stehen da und klönen, und irgendwann machen sie die dann, nerven die Bewohner, machen Lärm, haben Radio an und solche Sachen“, gibt „(m, 45)“ zu Protokoll.
Anders in Wellingsbüttel: Minderheiten sind hier ein Thema aus den Medien, und Sicherheit buchstabiert man mit Geld. „Jetzt bin ich hier verbarrikadiert mit Lichtsensoren und Alarmanlage und fühle mich eigentlich bombensicher“, sagt „(w, 67)“.
Wer nach Sicherheit fragt, stellt sich heraus, erntet Wertvorstellungen als Antwort. Gegen das, was bedrohlich scheint, werden jeweils die höchsten Wesen eines Stadtteils verteidigt: In Wellingsbüttel sorgt man sich ums Eigentum, in Rothenburgsort um die Ethnie, in der Schanze um Politik und in der Innenstadt um den Konsum. Doch solange die BewohnerInnen das Gefühl haben, dass das eigene Viertel ihnen Schutz und Zusammenhalt gewährt, werden echte Gefahren woanders vermutet, bevorzugt an stereotypisierten Gefahrenorten wie Mümmelmannsberg und Steilshoop – wo die wenigsten je selbst waren. Die HamburgerInnen ziehen also gar nicht erst aus, um das Fürchten zu lernen, behauptet die Studie.
Dies freilich erfolgt auf höchstem Niveau. Theoriesplitter feinster Güte, etwa der Hinweis auf unveröffentlichte Vorlesungen des französischen Historikers Michel Foucault, werden mit einer ausgedehnten Rezeption anglo-amerikanischen Forschungsmaterials vermengt. Eine Übersetzung der griffigen englischen Stichworte – „incivilities“ für die großen und kleinen Störungen von Sauberkeit und Ordnung, „structure of feeling“ für die Stimmung im Stadtteil – wäre wünschenswert gewesen: Wer in die politische Sicherheitsdebatte eingreifen möchte, wird ohne deutschsprachige Argumentationshilfen nicht weit kommen.
Die Vermittlung von Praxis und Theorie ist so auch der Studie größter Haken: In die Auswertung der Interviews ist der kriminologische Forschungsstand kaum eingegangen. Umgekehrt will sich das weltläufige wissenschaftliche Vokabular auf Wellingsbütteler und Rothenburgsorter Befindlichkeiten nicht so recht anwenden lassen. Aber vielleicht ist das ja auch der beste Beweis dafür, wie beschaulich die Hamburger Verhältnisse tatsächlich sind.
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