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■ NS-Kollaborateur Papon ist in Haft ist, andere müssen folgenFrankreichs schwere Verantwortung

Maurice Papon ist alles andere als ein Ehrenmann: Als Generalsekretär der Präfektur in Bordeaux organisierte er vom Schreibtisch aus Hunderte von Deportationen, als Präfekt im algerischen Constantine unterzeichnete er die französische Repression der letzten Kolonialjahre, und als Polizeipräfekt von Paris ließ er ein Massaker an demonstrierenden Algeriern zu. So viel ist Freund und Feind dieses französischen Spitzenbeamten längst bekannt. Spätestens seit seiner Verurteilung zu zehn Jahren Gefängnis wegen Komplizitenschaft mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Frühjahr vergangenen Jahres in Bordeaux kann es niemand mehr bestreiten.

Dennoch brachte es Maurice Papon bis Ende der 70er-Jahre zum Haushaltsminister unter Präsident Valéry Giscard d'Estaing und hatte zu jedem Zeitpunkt seiner Karriere viele und einflussreiche Freunde im französischen Etablissement. Einige von ihnen sorgten dafür, dass er nach Kriegsende als „Résistant“ anerkannt wurde, um seine Karriere bruchlos fortsetzen zu können. Einige verhinderten 17 Jahre lang, dass Anklage wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ gegen ihn erhoben wurde. Einige traten zu seiner Entlastung vor dem Schwurgericht in Bordeaux auf. Einige halfen dem 89-jährigen zuletzt zu falschen Pässen und zu Hotelreservierungen für seine Flucht in die Schweiz.

Diese Netzwerke und ihr anhaltender Einfluss in Frankreich sind das eigentlich Beunruhigende in der Affäre Papon. Sie sind ein Konglomerat diffuser Kräfte. Zu ihnen gehört der fundamentalistische Teil der katholischen Kirche, der jahrzehntelang den Milizionär und Mörder Touvier versteckte, und zu ihnen gehört ein beträchtlicher Teil der rechten und linken politischen Führung des Landes, darunter Ex-Staatspräsident François Mitterrand. Gemeinsam verhinderten sie ein Gerichtsverfahren gegen den Ex-Polizeichef von Vichy, René Bousquet. Die französische Justiz, die nie ihre eigene massive Kollaboration mit dem Regime von Vichy geklärt hat, hat zudem Kollaborateure extrem selten belangt.

Die Akte Papon kann man schließen: Er ist jetzt rechtskräftig verurteilt. Seine Flucht ist beendet. Und außerdem ist er ein alter Mann, von dem persönlich keine Gefahr mehr ausgeht. Die Akte Vichy hingegen wird in Frankreich so lange von Aktualität bleiben, bis alle Kapitel der Kollaboration mit dem NS-Regime endlich ausgeleuchtet sein werden. Die Erklärung von Staatspräsident Jacques Chirac, der erstmals 1995 eine französische Verantwortung für das Vichy-Regime eingestanden hat, war bloß der Anfang. Dorothea Hahn

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