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Nein, ich rede keinen blöden Mist“

■ Was Rühmkorf auszeichnet: Er hat als Lyriker einen ganz eigenen Tonfall entwickelt, der ihn von Heine und Benn abhebt. Er baut meisterhaft, verliert aber nie die Bodenhaftung

Am Anfang steht bereits das Ende – der „Finismus“, „der Testamentsvollstrecker und definitiv letzte aller Ismen“, das ästhetische Programm, das Rühmkorf im Verein mit seinem früh verstorbenen Freund Werner Riegel in den falschen Fuffzigern entwickelt und an dem er bis heute entlang schreibt: „Zieht man den privaten Harngries ab, bleibt der gewiß nicht nur herzzerreißende Versuch, politische Wirkungsästhetik und individuelle Ausdrucksästhetik gesammelt zu begreifen.“

Das ist das Postulat einer Literatur, die höchsten Kunstansprüchen gerecht wird, sich aber nie in bloßen Kunststückchen verliert – und sich einem entschiedenen Jakobinismus verschreibt. Wer sich poetologisch solchermaßen zwischen die Stühle setzt, dem mangelt es selten an Gegnern – auf der Rechten wie auf der Linken.

Im verhassten Adenauerschen „Restauratorium“ sind es vor allem die – schon wieder marktführenden – konservativen Literaten: die inneren Emigranten und andere Realitätsflüchtlinge, die indirekt oder beabsichtigt die Sache der Reaktion betreiben. Die Naturlyriker zum einen, nicht zu vergessen die vielen Benn-Epigonen, die Rühmkorf in seiner martialischen Kolumne „Leslie Meiers Lyrik-Schlachthof“ (im Konkret-Vorläufer Studenten-Kurier) liebevoll-skrupulös tranchiert, weil sie wie ihr geistiger Übervater die große idealistische Dialektik Geist versus Welt aufmachen – und sich im Bennschen Motiv- und Metapherngewand aus letzterer verabschieden.

Allerdings nimmt er die Kunst auch vor einer einseitigen politischen Inbesitznahme durch die allzu doktrinäre Linke in Schutz: „Nein, ich rede keinen blöden Mist / und bin weder so-, noch sorum abzurichten: / Gestern Kommunist – morgen Kommunist, / a b e r d o c h n i c h t j e t z t, / b e i m D i c h t e n?!“

Zwar ist er mit dem SDS marschiert, hat gegen Springer Front gemacht und als politischer Leitartikler für konkret linkes Bewusstsein mitgeformt, aber die Lyrik sollte nun nicht auch noch die Weiterführung des politischen Kampfes mit anderen Mitteln sein.

Da hat Rühmkorf lieber gleich gar keine Gedichte mehr geschrieben. Nach dem lauen Verpuffen des schönen APO-Traums und der anschließenden „linken Dispersion“ zieht er sich wieder in den Dichter-Alkoven zurück, schreibt nachbrechtische Agitprop-Stücke, die bei der Kritik allesamt durchfallen, literarhistorische Essays, viele Rezensionen, aufgeklärte Märchen, mit das Beste, was Lyrik in diesen Jahrzehnten zu bieten hat – und nicht zuletzt auch Tagebuch. Das politische wie poetologische Selbstverständnis hat sich in all diesen wechselhaften Zeiten – und trotz den Niederlagen, die er zweifelsohne einstecken musste – allerdings kaum verändert. Nur die politischen Naherwartungen sind einem desillusionierten Skeptizismus, bisweilen auch schon mal Defätismus gewichen, der aber fast immer die Kurve kriegt und nur selten ins Larmoyante abrutscht: „Ich will ja nicht hetzen, aber so rum betrachtet ist der Sozialismus eigentlich  / mehr ne Sache fürs Jenseits“.

Dass sich Melancholie und Vanitas-Gefühl, die Rühmkorfs Lyrik stets grundierten, in seiner jüngsten Gedichtpublikation „wenn – aber dann“ etwas lauter zu Wort melden, ist das eine. Aber das klingt gleichwohl immer noch erstaunlich dickschädelig und unbelehrbar. Er jedenfalls hat den Rechtsschwenk-Marsch so vieler ehemaliger Art-Genossen nicht mitgemacht, ist dadurch vielleicht auch ein wenig aus der Mode gekommen. Aber obschon seine Wege oft genug die Zeitläufte durchkreuzten und eben nicht brav nebenher liefen, gehörte er doch allemal zur ersten Garde, vor allem als Lyriker.

Der Vorwurf des Epigonalen, den man Rühmkorf immer mal wieder gemacht hat, kann ihn nicht wirklich treffen, verrät im Grunde auch ein vormodernes Ästhetikverständnis. Rühmkorf imitiert und montiert zwar auch genug Fremdes, nicht zuletzt weil er als Schüler Arno Schmidts all das Geschriebene immer noch als mitlebend betrachtet, aber das Mischungsverhältnis, die Art der Anverwandlung zeigt doch ein ganz individuelles Dichtertemperament. Es gibt durchaus einen eigenen Rühmkorf-Ton, der ihn von seinen Vorsängern Heine, Benn, Ringelnatz etc. unterscheidet. Es ist diese eigentlich unvereinbare Mischung aus L'art pour l'art und Gosse, die noch dazu ohne lyrisches Ich als Vermittlerinstanz und Projektionsfläche auszukommen scheint. Hier spricht der Dichter selbst, und der ist ein Janus, halb Dandy, halb Clochard, geschmäcklerisch und geradezu übereifrig nach stilistischer Grandezza heischend, zugleich aber auch von einer Kaputtheit, die dem großbürgerlichen Feuilleton wohl nie ganz geheuer war. Und vielleicht auch dafür gesorgt hat, dass ihm der Büchner-Preis erst viel zu spät zugesprochen wurde.

Solche existenziellen Brüche kann kein Reim kitten, auch nicht der Rühmkorfsche. Die aberwitzige Virtuosität, mit der er ihn zu handhaben versteht, weist vielmehr auf sie zurück: So viel Artistik ist eben nötig, um diese Dissonanzen doch noch irgendwie zum Klingen zu bringen. Andererseits liefert dieser Zug ins Pathologische, diese alkohol- und dopegetriebene mentale Drift, auch erst die Voraussetzung für Rühmkorfs Dichtung: In seiner morbiden Poetik macht „erst der Fall das Original“, bringt erst „die krankhafte Abweichung von der Betriebsnorm einen ernstzunehmenden Individuationsgewinn“. Kurz, um wirklich Originäres zu schaffen, bedarf es einer – notfalls durch Sauf-, Kiff- und Medikamenten-Exzesse – ordentlich zerrütteten Künstler-Existenz. Es ist nie ein Volks- und Erfolgsautor aus ihm geworden. Im Unterschied zu Grass etwa. Erste Wahl war Peter Rühmkorf immer. Frank Schäfer ‚/B‘Die Rühmkorf-Gedichte in dieser taz sind bei Rowohlt erschienen (1959, 79, 84, 99). Außer: Und keiner von uns ... sagte Nein. Reclam 1987. Kinder, spricht der Onkel Walser... Steidl 1999

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