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Dat Düwelswerk

Das Emsland ist Meyerland, sagen die Ostfriesen von der anderen Seite des Flusses. Und deswegen spielt es auch keine Rolle, ob das geplante Emssperrwerk dem Schutz vor Sturmfluten dient oder der Papenburger Meyerwerft – und der Ems schadet  ■   Aus Gandersum Uta Andresen

wissen von mir, dass ich dafür bin. Wir reden nicht darüber.“

ier geht es um Wahrheit und Schöpfung, würde Günter Faßbender sagen. Hier geht es um Solidarität und Arbeit, würde Helmut Plöger sagen.

In der Marsch links und rechts der Ems, könnte man meinen, ist ein Deich wie der andere, ein Jahr wie das andere. Und doch hat hier jeder so seine Erlebnisse. Günter Faßbenders ist jetzt drei Jahre her. Es war dieses Fax, ohne Absender, das im Herbst 1996 in sein Arbeitszimmer ratterte. Auf dem Papier stand, es gebe eine Arbeitsgruppe mit Vertretern der Bezirksregierung Weser-Ems, der Meyerwerft Papenburg, der Schifffahrtsdirektion Emden und der Staatskanzlei Hannover. Beschrieben war das Bauvorhaben eines Sperrwerks, zu errichten an der Ems, Höhe Gandersum. „Dafür hätte der Friedhof und die Kirche des Dorfes eingeebnet werden müssen“, sagt Günter Faßbender. Er könnte sagen: seine Kirche, sein Friedhof, sein Dorf. Seit diesem Erlebnis studiert der Pastor der ostfriesischen Gemeinde nachmittags statt Handreichungen zum Abendmahl oder Exegesen des Evangeliums Gewässergutachten, Klageschriften, Gesprächsprotokolle und Machbarkeitsstudien. „Von solchen Dingen wusste ich vorher nichts“, sagt er.

Helmut Plögers Erlebnis ist nicht so lange her. Es war Mitte September, beim letzten SPD-Parteitag des Bezirks Weser-Ems. Da saßen Plöger, der Betriebsratsvorsitzende der Meyerwerft, und Schröder, der Bundeskanzler, auf dem Flugplatz von Emden und redeten. Ganz wie früher in den Siebzigern bei den Jusos, als Helmut Vorsitzender des Bezirks Oldenburg und Gerhard zunächst Vorsitzender des Bezirks Hannover und dann des Bundes war. Nicht einmal die Themen hatten sich geändert: Solidarität und Arbeit. Nur konkreter sind sie geworden, die Themen: Solidarität mit Bernhard Meyer, Arbeit für Helmut Plöger. Seitdem geht der Fürsprecher der Meyerschen Belegschaft wieder mit Zuversicht auf die Werft. „Ich hoffe“, sagt er.

Solidarität. Kann man so etwas empfinden, bei diesem Anblick? Bei dieser wuchtigen Halle, die wirkt wie ein überdachtes Gewerbegebiet, nur aus Versehen in die Marsch gesetzt? Jos. L. Meyer. Die zweitgrößte Werft in Deutschland, bezogen auf die Beschäftigten. Die größte, bezogen auf den Umsatz. Erstaunen sicher. Respekt vielleicht. Aber Solidarität? Das muss den Papenburgern anders gehen. Schon Kilometer vor dem Binnenhafen weisen Schilder in der Kleinstadt stolz den Weg zur Werft. „Das Emsland ist Meyerland“, sagen die Ostfriesen auf der anderen Seite des Flusses. Wenn Firmenchef Bernhard Meyer einen seiner Luxusliner mit über 70.000 Bruttoregistertonnen von Papenburg 50 Kilometer durch die schmale Ems in die Nordsee fädelt, stehen sie zu Zehntausenden auf dem Deich, mit Fotoapparaten und Videokameras – seine Emsländer. „Wir sind verdammt stolz auf die Schiffe, die wir hier bauen“, sagt Helmut Plöger. Er ist 47. Seit 18 Jahren arbeitet er auf der Werft. Anfangs schweißte er Decks, heute schmökert er im Arbeitsrecht. Nur das blaue Hemd und die kompakte Statur erinnern noch an den Schiffbauer.

Solidarität. Helmut Plöger überlegt, dann sagt er: „Wir haben es hier ja nicht mit einem Konzern zu tun.“ Nein, mit einem Familienbetrieb, der seit über 200 Jahren hier seine Schiffe baut, und das macht einen Teil des Problems aus. Erst waren es Lastkähne, dann Fähren, heute Viehtransporter und Kreuzfahrtschiffe. Das Produkt ist über sechs Generationen mit dem Betrieb gewachsen und passt nun nicht mehr durch den Fluss vor dem Werfttor. Und da Papenburg nicht an der Nordsee liegt, muss die Nordsee nach Papenburg kommen. „Wenn ich eine Entscheidung brauche, geh ich zwei Treppen hoch, da sitzt unser Chef, dann hab ich eine Entscheidung“, sagt Helmut Plöger. Und die Entscheidung heißt in diesen Tagen: entweder Sperrwerk oder Entlassungen. Wer würde da keine Solidarität mit seinem Chef empfinden?

Schöpfung. Günter Faßbender brummelt es vor sich hin, als ob ihm das Wort irgendwie unpassend erscheint, unzeitgemäß allemal. Ihm, dem evangelischen Pastor, der zur Zeit der Wende von einem kirchlichen Sozialismus träumte und enttäuscht war, als die Brüder im Osten ihre Kirchen renovieren und ansonsten ihre Ruhe wollten. Der aus dem Rheinland kam und Ende der Siebzigerjahre ins Ostfriesische ging, in die Diaspora, um eine kleine, aber treue Kirchengemeinde aufzubauen. Der jetzt 44 ist und bedauernd sagt, dass er für die Achtundsechziger zu jung und für die Umweltbewegung zu alt war. Der nun Spenden in seiner Gemeinde sammelt, Geld und Medikamente, um diese einem befreundeten Arzt nach Malawi zu bringen, damit der dort umsonst Kranke behandeln kann. „Ich bin kein besonders frommer Prediger“, sagt der Pastor. Es klingt nach Entschuldigung. Aber bei dem Stichwort Sperrwerk fällt ihm doch nur dieses eine Wort ein: Schöpfung. Und dann, etwas später, noch eines: „Düwelswerk“.

Schöpfung. Pastor Faßbender könnte auch sagen: Nonnengänse, Regenbrachvögel, Kampfläufer, zehntausende, die im Winter an der Emsmündung Rast machen, sich auf dem Deichvorland bei Gandersum fett fressen. Rohrweihen, Säbelschnäbler, Blaukelchen, die auf den satten Wiesen unten am Fluss brüten. Auwaldreste mit Silberweiden und Erzengelwurz in Dörfern wie Weener, Coldam, Halte, Wilgen, vom Bundesamt für Naturschutz als prioritärer Lebensraum nach europäischem Umweltrecht eingestuft, also als besonders schützenswert. Und die Ems mit Flohkrebs, Meerneunauge, Flussneunauge und der Finte, einem Fisch, der auf der roten Liste der gefährdeten Tierarten steht. Und hier begegnen sich Solidarität und Schöpfung.

Damit die Libra Class, 91.000 Bruttoregistertonnen, spätestens 2002 und viele Schiffe nach ihr von Papenburg das offene Meer erreichen, muss die Ems aufgestaut werden können. Von jetzt 6,30 auf 8,50 Meter. Und das geht nur, indem Meerwasser in den Fluss gepumpt wird. „Das bedeutet das Auslöschen vieler Arten“, sagt Beatrice Claus vom WWF. Auslöschen durch Überschwemmung, Übersalzung, Sauerstoffmangel.

Arbeit. „Wenn das Sperrwerk nicht kommt, dann haben wir hier tüchtig zu tun. Ja, Betriebsrat, Massenentlassungen.“ Plöger stößt die Wörter von sich, als gelte es, damit draußen auf dem Hof die beiden Kräne „Steinadler“ und „Fischadler“ zu bannen, auf dass sie die Werft nie verlassen mögen. Zumindest nicht die Region, die mit 13 Prozent Arbeitslosigkeit ihren Verlust nur schlecht ertragen könnte. Über 10.000 Arbeitsplätze seien in Gefahr, sagt Helmut Plöger. Rund 2.000 Angestellte habe die Werft, dazu kommen die Zulieferer, Tischler, Elektriker, Polsterer und Fliesenleger, 8.000 insgesamt, die so einen Luxusliner mit Diskotheken, Schwimmbädern, Kajüten und Salons füllen.

Arbeit. Dass das mal klar sei. Er, Plöger, habe nun wirklich kein Problem mit dem Umweltschutz. Wer ist denn hier in Jemgum, gewissermaßen auf der Ems groß geworden, als Sohn eines Fischers? Wer saß denn damals in der Bürgerinitiative gegen das Gewerbegebiet? Wer arbeite denn in einem Unternehmen, das führend sei in Antifowlingfarben, das Verpackungsmüll recycle, das Farbeimer schockgefriere, damit Farbreste und Eimer getrennt entsorgt werden könnten? „Wir haben keine Probleme mit den Umweltschützern“, sagt Helmut Plöger. Aber jeder hier solle seine Arbeit machen. Die Umweltschützer ihre. Die Schiffbauer ihre. „Die sollen keine Industriepolitik machen“, sagt er. Wenn ihnen die umweltschützlerischen Argumente ausgingen, dann sollten sie nicht nach Brüssel rennen und von versteckten Subventionen und Steuerverschwendung faseln. Das Emssperrwerk soll 353 Millionen Mark kosten, finanziert aus Steuergeldern, da es die Bezirksregierung als Bollwerk gegen die Nordsee deklariert hat.

Wahrheit. „Hier sagt keiner mehr, was er denkt“, sagt der Pastor. Das Klima an der Emsmündung habe sich sehr geändert, in den letzten Monaten. Vor allem nach der Demonstration der Werftarbeiter im Februar. „Da ist im Vorfeld recht ruppig Politik gemacht worden“, sagt Günter Faßbender. Recht ruppig heißt, dass in Papenburger Kneipen Plakate aushingen, die Sperrwerksgegnern bedeuteten, sie seien unerwünscht. Dass die Faßbenders Drohanrufe erhielten, nachts, der Pastor solle aufhören gegen das Sperrwerk zu predigen, sonst ... Dass Betriebsrat Plöger einem den Grünen nahe stehenden Kollegen gesagt haben soll, er brauche sich „gar nicht erst wieder einzustempeln“, wie im örtlichen General Anzeiger steht. „Blödsinn“, sagt Plöger dazu. Die Anzeige gegen ihn wegen Nötigung sei fallengelassen worden. Entbehre also jeder Grundlage. Später sagt er: „Ich bin bekannt dafür, dass ich Ziele sehr energisch verfolge.“ Und überhaupt, mit den Fischern habe er schließlich auch kein Problem. „Ich weiß von den Fischern, dass sie gegen das Sperrwerk sind, die wissen von mir, dass ich dafür bin.“ Und? Man spiele zusammen plattdeutsches Theater, seit dreißig Jahren. „Wir reden nicht darüber und ich halte das für eine gute Umgehensweise“, sagt Helmut Plöger. Günter Faßbender sagt dazu fehlende Zivilcourage. „Die Leute hier wollen nicht öffentlich zu ihrer Meinung stehen.“ Und er, der Pastor, soll das auch nicht. Im Februar strengte jemand aus der Region ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn an. Das lässt die Kirche ruhen, „freundlicherweise“, sagt Faßbender. Die Wahrheit? Das gibt nur Ärger.

Ich weiß von den Fischern, dass sie gegen das Sperrwerk sind, die

Wahrheit. Im Bauantrag steht, Hauptfunktion des Wehrs sei der Küstenschutz. Eine Sturmflut von 1994 sei so hoch aufgelaufen wie noch nie, 4,75 Meter über Normalnull. Und wer nich will dieken, de mutt wieken. Warum aber sind dann die Schilde des Sperrwerks in einer Broschüre landeinwärts geplant, zum Fluss hin, und nicht zum Meer? Warum gibt es eine Machbarkeitsstudie des niedersächsischen Wirtschaftsministeriums von 1992, die untersuchen soll, ob mitttels eines Sperrwerks Schiffe von Papenburg nach Emden überführt werden können? Warum sprach der Chef der CDU-Landtagsfraktion, Josef Stock, bereits 1997 öffentlich davon, dass das Sperrwerk als Hochwasserschutz verkauft werden müsse, damit es aus Steuergeldern finanziert werden könne, nachzulesen in der Ostfriesen-Zeitung? Warum erklärte Gerhard Schröder Anfang des Jahres in einem Grußwort an die Arbeiter der Meyerwerft, dass seine Regierung das Vorhaben bei der EU-Kommission nachhaltig unterstützen werde? Warum besorgte der Papenburger SPD-Bundestagsabgeordnete Reinhold Robbe der Meyer-Belegschaft einen Termin bei Kanzleramtsminister Walter Steinmeyer, Gesprächsthema Sperrwerk? Das alles für den Küstenschutz? Das alles, obwohl laut Generalplan Küste des Landes Niedersachsen von 1997, die vorhandenen Deiche bei etwas Renovierung ausreichenden Schutz böten? Die Sturmflut aus dem Jahre 1994 war da längst bekannt.

17. September 1998. Wahljahr. Gerhard Schröder steht auf dem Deich bei Gandersum, löst feierlich den ersten Rammschlag für das Sperrwerk aus und die schwarze Stadt Papenburg an der Ems wählt am 27. September zum ersten Mal bei einer Bundestagswahl rot. Mit 44,16 Prozent für die SPD reist Schröder wieder nach Hannover. Günter Faßbender sitzt hinterm Deich in seiner Kirche mit 40 Sperrwerksgegnern und hält eine Andacht. „Auch wir sind des Herrn“, sagt er. Zwei Monate später verhängt das Verwaltungsgericht Oldenburg einen Baustopp.

Neun Eilanträge, 15 Klagen liegen nun bei den Richtern, die in den nächsten Tagen entscheiden, ob am Sperrwerk weitergebaut werden darf. Über Bernhard Meyer ist in Ostfriesland zu hören, er werde gehen – ob mit oder ohne Sperrwerk. Schon die nächste Generation von Schiffen sei zu mächtig – selbst für eine aufgestaute Ems. „Hier geht es nicht mehr um Umwelt oder um Arbeitsplätze. Hier geht es ums Prinzip“, sagt Helmut Plöger zum Abschied. Die Frage ist, um wessen.

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