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„Wir lagen vor Alexandria“

Erstmals beteiligt sich die Bundesmarine an einem Manöver vor der ägyptischen Küste  ■   Aus Alexandria Karim El-Gawhary

Eine laue Herbstnacht senkt sich über den Hafen der ägyptischen Stadt Alexandria. Die deutsche Fregatte „Emden“ hat friedlich und festlich geschmückt hier angedockt. Fregattenkapitän Heinrich Liebig hat für den Abend zum offiziellen Empfang geladen.

Seine Besatzung übt heute nur das Servieren von Lachs- und Forellenbrötchen. Man will ein wenig Deutschland repräsentieren, bevor die Fregatte in wenigen Tagen vor der nordafrikanischen Küste ins Manöver sticht. Die „Emden“ ist das erste bundesdeutsche Kriegsschiff, das an einem Manöver außerhalb des traditionellen Nato-Bereiches teilnimmt.

Seit 1980 üben die Ägypter zusammen mit den Amerikanern im Manöver „Bright Star“ die Landung in der Wüste. Was zunächst als kleines Manöver begann, weitete sich schnell aus. Mit über 70.000 Soldaten aus elf Ländern ist „Bright Star“ inzwischen das größte Manöver weltweit. Allein die USA sind mit 18.000 Mann beteiligt. Kosten: Rund 80 Millionen Dollar.

Die deutsche Beteiligung ist eine Premiere. Für Oberst Reinhold Waldecker, Militärattaché an der deutschen Botschaft in Kairo, ist die Teilnahme ein Signal für eine „neue deutsche Auffassung operativer Zwänge. Die Deutschen wollen sich nicht vordrängen, aber auch nicht einer Teilnahme entziehen“, sagt Waldecker in neudeutschem Militärjargon.

Doch auf dem Stehempfang auf der „Emden“ im Hafen von Alexandria geht es weniger um neue operative Zwänge. Die Mannschaft ist sichtlich angetan von der Exotik des ganzen Unternehmens. Kapitän Liebig freut sich auf den Austausch mit den Ägyptern und auch darauf, einige pharaonische Sehenswürdigkeiten zu besuchen. Der 22-jährigen Wehrpflichtige Rico Thamm beschreibt die Mission als die Reise seines Lebens. Für den Dachdecker aus dem Erzgebirge ist der ganze Einsatz schlichtweg „Abenteuerurlaub“.

Die wachsende Teilnahme von Nato-Staaten am Manöver passt hervorragend ins Bild der neuen Nato-Doktrin, die pünktlich zum 50. Geburtstag des Paktes im April vorgelegt wurde. Die große Neuerung: Das Einsatzgebiet der Nato ist nicht mehr nur auf das traditionelle nordatlantische Territorium beschränkt, sondern ausgeweitet auf die ganze Welt. In Zukunft soll potenziellen Krisen weltweit bereits in einem frühen Stadium begegnet werden.

Militärattaché Waldecker sieht allerdings keinen Zusammenhang zwischen der neuen Nato-Doktrin und der deutschen Beteiligung. Die ägyptische Einladung an die Deutschen, an „Bright Star“ teilzunehmen, sei älter als die neue Nato-Strategie. Der stellvertretende britische Verteidigungsminster Peter Kilfoyle hat da weniger Probleme, einen Zusammenhang herzustellen. Beim Besuch der 5.000 Mann starken britischen Truppe hat er auf die Bedeutung des Manövers für die neue Nato-Doktrin und die Ausweitung des Nato-Einsatzbereiches hingewiesen.

Dass ausgerechnet einem Manöver im Nahen Osten eine solche Bedeutung zukommt, ist sicherlich kein Zufall. Der krisengeschüttelte südliche Mittelmeerraum (Nato-Jargon für Nahost) nimmt immer mehr Gewicht im Denken der Brüsseler Strategen ein. Die in der Nato-Doktrin erwähnten potenziellen Krisen sind allesamt Szenarien, die an der südlichen Nato-Grenze in Nordafrika und Nahost denkbar sind, so etwa Terroranschläge, die gewaltsame Unterbrechung der Rohstoffversorgung oder die Verbreitung von Atomwaffen.

Fregattenkapitän Liebig mag dennoch keinen Gegner ausmachen, gegen den sich das Manöver richten könnte. Ihm geht es in erster Linie um das Kennenlernen der anderen. Da war US-Verteidigungsminister William Cohen bei seinem Manöverbesuch in Ägypter schon deutlicher. Irak solle die Manöver besonders genau beobachten, ließ er verlauten. Ägyptische Militärfachleute ordnen die ganze Übung pragmatisch ein. „In Zukunft könnten wir in ähnliche Konfrontationen wie im Golfkrieg verwickelt werden“, sagt Generalleutnant Muhammad Kadry Said, militärischer Berater des Al-Ahram-Zentrums für strategische Studien in Kairo. In jedem Manöver werde der Ernstfall gegen einen potenziellen Gegner geübt. Im Falle von „Bright Star“ sei das derzeit vor allem der Irak, Syrien und Libyen, glaubt Generalmajor a. D. Talaat Musallem, einst verantwortlich für das Trainingsprogramm der ägyptischen Armee.

Die massive europäische Teilnahme könne man, so Musallem, kaum außerhalb des Rahmens der neuen Nato-Doktrin betrachten. Die europäische Teilnahme an der Übung bedeute langfristig, dass sich die Europäer auch zusammen mit den USA im Nahen Osten engagieren werden.

Fregattenkapitän Liebig reagiert auf Fragen nach dem ausgeweiteten Nato-Einsatzgebiet eher zurückhaltend. „Ich bin kein Politiker“, sagt er. Am nächsten Tag werden die ersten deutschen Truppen in Ägypten landen, zu einem Pyramidentrip.

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