Viel zu früh ins Museum gestellt

■  Das Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe will die Kunst des Internets ausstellen. Was in der Halle wie ein Konzept für die Avantgarde des nächsten Jahrhunderts aussieht, ist im Netz nur eine brave Linkliste

Kunstwerke, die ausdrücklich und für das Internet entwickelt worden sind, leiden an einem durch das Medium selbst bestimmten Mangel. Sie finden keinen Markt. Niemand kann sie kaufen und sammeln, und selbst der ideelle Gewinn der Ausstellung in einer namhaften Galerie bleibt aus. Das ist der Preis der Freiheit von institutionellen Zwängen, die das Internet verspricht, doch seit Ende September versucht das Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe auch dieser ortlosen Kunst einen realen Raum zu geben, in dem sie sich vor einem Publikum bewähren muss, das ohne Computer und Modem, dafür aber mit Ausstellungskatalog bewaffnet durch die Hallen wandert. Peter Weibel, der Leiter des Karlsruher Zentrums, und sechs weitere Kuratoren haben die bislang größte Ausstellung der Netzkunst organisiert. Sie heißt, in modischen Computerslang verbrämt, „net_condition“ und will Bestandaufnahme und Brücke zur traditionellen Moderne sein. In der analogen Welt ist sie zugleich in Graz, Tokio und Madrid zu besuchen, im Netz unter on1.zkm.de/static/index.html.

Ein Großereignis, das der jungen Netzkunst enorme Beweislasten aufbürdet. Für Peter Weibel steht fest, dass die Netzkunst das „Forum“ geworden sei, „in dem viele der emanzipatorischen Hoffnungen der historischen Avantgarden neu artikuliert werden“. Und der Kurator Hans Peter Schwarz sieht unter dem „Label Net.art“ gleich die „erste Avantgarde des 21. Jahrhunderts“ versammelt.

Das Ergebnis ist eine Sammlung von Konzepten und Ansprüchen, die nur selten zu unmittelbar anschaulichen, gar konsumierbaren Ergebnissen geführt haben, weder in der Ausstellung selbst noch im Netz – der Onlinekatalog führt zu den Heimatadressen der etwa sechzig ausgestellten Arbeiten weiter. Keineswegs alle sind im engeren Sinne für das Internet entwickelt worden, und viele begnügen sich damit, den Begriff des Netzwerkes in pädagogischer Absicht und theatralischen Installationen zum Thema zu machen.

An ihnen vor allem ist spürbar, wie sehr Weibel und seine Mitkuratoren ihrem eigenen Mut misstrauen. Sie wollen Netzkunst ausstellen und glauben, das nur tun zu können, wenn sie zugleich beweisen, dass diese Kunst auch ohne das Netz auskommen kann. Treuherzig versichert deshalb Hans Peter Schwarz, die Ausstellung im Museum sei in „unserer Gesellschaft immer noch das Experimentierfeld für die Querdenker und Neuerer“.

Noch weniger aber hält der Ausstellungstitel seinem Anspruch stand, wenn man ihn wörtlich nimmt und die ausgestellten Arbeiten tatsächlich unter Netzbedingungen, nämlich online am heimischen Computer, betrachtet. Was in der Halle wie ein Konzept aussieht, erweist sich als brave Linkliste, der man höchstens zugute halten kann, dass kaum ein wichtiger Name fehlt. Der Begriff der Avantgarde vor allem lässt sich keineswegs so umstandslos auf den originalen Kontext dieser Produktionen übertragen, wie das die Karlsruher glauben. Auch für Künstler ist das Netz zunächst und zuerst ein Medium der Selbstverständigung. Daraus allein lässt sich aber noch keine verbindliche, ästhetische Position ableiten

Niklaus Hablützel

niklaus@taz.de