: Zwischen uns passt kein Leo
Im Parlamentsgefecht um die Leopard-II-Panzer für die Türkei kam die Opposition blässlich daher. Rot-Grün demonstrierte dagegen schmusige Einigkeit ■ Aus Berlin Patrik Schwarz
Soeben wollte Wolfgang Gehrcke zum brisanten Teil seiner Ansprache kommen, da war die Redezeit des PDS-Politikers schon wieder vorbei. Gerade mal fünf Minuten für jeden Abgeordneten sieht die Geschäftsordnung bei Aktuellen Stunden vor, daran änderte auch die Tatsache nichts, dass Gehrckes Fraktion die Sitzung beantragt hatte.
Zu Anfang konzentrierte sich der stellvertretende Fraktionsvorsitzende auf die Argumente der Sozialisten gegen den Export jeglicher Waffen in die Türkei: Wer im Kosovo für die Menschenrechte Krieg geführt habe, könne jetzt nicht die Türkei unterstützen. Dass die Türkei ein Exportverbot als Demütigung begreifen könnte, sei kein Argument – „dann kann man gleich Waffen an alle liefern“. Auch das Ziel einer Integration der Türkei in die EU sei keine Rechtfertigung: „Seit wann führt der Weg nach Europa über Waffen?“
Die Pflicht hinter sich, wandte Gehrcke sich dem Thema zu, das für die PDS politisch wirklich profitabel ist: der grünen Niederlage in der Koalition, die den Sozialisten die Chance bietet, sich als die wahrhaft linke und pazifistische Kraft zu präsentieren. Doch seine fünf Minuten waren abgelaufen. „Schade, das wäre aber schön geworden!“, bedauerte er.
Die Genehmigung für den Export eines Testpanzers habe „bewiesen, dass den Grünen der Machterhalt wichtiger ist als ihre moralische Integrität“, schob zwar später die zweite PDS-RednerinHeidi Lippmann nach. Insgesamt aber ließen die Sozialisten ihre linke Konkurrenz vergleichsweise ungeschoren. „Kritische Solidarität mit den Genossen“ hiess dieses Verhalten wohl in der DDR.
Rote und Grüne ihrerseits mühten sich, nach den aufreibenden Auseinandersetzungen der letzten Tage der Opposition von links bis rechts keine weitere Blöße zu bieten. Claudia Roth, Menschenrechtsexpertin der Grünen: „Ich bin nicht bereit, hier auf der parlamentarischen Bühne rot-grüne Differenzen aufzuführen.“ Zwischenruf von den Oppositionsbänken: „Aber auf der Straße!“ Ihre Überlegungen für eine Mobilisierung der grünen Basis hat die Parteispitze freilich längst wieder aufgegeben, und auch im Bundestag zielte die Strategie der Regierung auf demonstrative Einigkeit.
Rot wie Grün hatten je einen Exponenten pro Parteiflügel aufgeboten – hier die grüne Parteilinke Roth und die realpolitischere Angelika Beer, da den linkeren Außenpolitiker Gernot Erler und den rechten Wirtschaftsexperten Ditmar Staffelt. In seltener Einmütigkeit redeten alle über die Verletzungen der Menschenrechte in der Türkei, aber nicht über die Verletzungen im Verhältnis von Rot und Grün. „Da können Sie zwischen Rot und Grün kein Blatt Papier und auch keinen Leo schieben“, rief Beer der Opposition zu. Nur noch rituell beharrten die Grünen auf ihrer Differenz: Natürlich sei man, anders als die SPD, unverändert gegen die Panzerlieferung.
Angesichts der Blässe der PDS blieb es der konservativen Opposition überlassen, die Zerbrechlichkeit des rot-grünen Panzerkompromisses zu beleuchten. Ruprecht Polenz (CDU) prophezeite der Regierung, die Vertagung der Entscheidung über die Lieferung von 1.000 Leopard II werde sich als „Mühlstein“ erweisen. Ausgerechnet im Jahr 2001 wird sich die Koalition erneut mit der Frage befassen müssen – „in Sichtweite der nächsten Bundestagswahl“ im darauffolgenden Jahr.
Besonders auf Außenminister Joschka Fischer werde dann ein Dilemma zukommen. Am Lagebericht seines Auswärtigen Amtes (AA) zur Menschenrechten in der Türkei hänge nämlich eine Genehmigung für die Panzer. Bescheinigt das AA den Türken eine Verbesserung, müssten die Grünen dem Leopard-Export zustimmen – und Fischer trüge die Schuld an einem möglichen Koalitionsbruch.
Aber auch im Falle, dass die Türkei im AA-Bericht schlecht abschneidet, hat der Minister ein Problem, so Polenz' Analyse. Dann nämlich habe sich die zentrale Grundlage von Fischers Türkei-Politik als falsch erwiesen: dass sich die Menschenrechtssituation durch das Angebot von Rot-Grün verbessern werde, den Beitritt in die EU zu unterstützen.
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