: Mythos zwischen Schicksal und Feind
Heute auf den Tag genau ist die Rote Flora seit zehn Jahren besetzt. Offiziell besetzt. Belegt und belagert war sie ja schon vorher. Am 31. Oktober 1989 lief der einzige Vertrag aus, den die Stadt Hamburg je mit der Roten Flora geschlossen hat. Seither beweist das Stadtteilzentrum täglich aufs Neue, warum nur eine autonome Flora eine lebendige Flora sein kann: Hätte sich die Flora auf Verträge und dergleichen Senatspläne eingelassen, wäre sie jetzt eine Art Haus der Jugend für Große, verwaltet von Angestellten der Hansestadt, nach BAT bezahlt.
Das Besondere an der Flora ist nicht, dass sie radikal ist. Natürlich hat sie unzähligen Gruppen zu allen vorstellbaren Haupt- und Nebenwidersprüchen (Antisexismus, Antirassismus, Anti-usw.) ein Heim geboten. Aber ihr einzigartiger Erfolg besteht darin, dass die Flora radikal und kulturell ist und genau von den Eigenschaften profitiert, über die sich die FloristInnen selbst schon gegenseitig die Köpfe eingeschlagen haben.
So ist der linke Lieblingskonflikt zwischen Theorie und Praxis nie entschieden worden – wissenschaftliche Elaborate inklusive Fußnoten haben den gleichen Rang wie der Brötchennachschub fürs Frühstück. Die Flora buchstabiert Politik mit Ästhetik und Ironie: Unvergleichlich bleiben die monatlichen Veranstaltungsplakate. Und: Nirgends wurde der Kulturkampf Punk („politisch“) gegen Techno („Kommerz“) so pointiert ausgetragen wie in der Flora, und herausgekommen ist dabei der Nachweis, dass elektronische Musik und Linkssein auch zusammengehen.
Aber für einen Mythos brauchts mehr: Unter anderem das Schicksal und mindestens einen Feind. Hier hat die Stadt jahrelang mit Spitzelaktivitäten, Räumung des Floraparks und all den Zusammenstößen mit der Polizei bei und nach Demonstrationen treue Dienste geleistet. Der Brand im November 1995 schließlich war das charismatische Ereignis schlechthin: Nie war die Flora freier und schöner als in den ersten Wochen des Wiederaufbaus.
Und genau das ist das Problem: Seitdem die Drogenszene rings um das Gebäude Stellung bezogen hat, hat die Flora ihre Aura eingebüßt. Indem sich die Flora entschieden hat, die Drogenszene zu schützen, erlebt sie einen neuen Mythos: Wie eine griechische Tragödienheldin macht sie das einzig Konsequente und besiegelt damit doch ihr Unglück: Junkies leben auch gegen die Gesellschaft, aber sie sind dabei weder frei noch schön. Drogenarbeit ist nicht charismatisch, sondern bitter.
Vielleicht aber überlebt die Flora selbst diese Prüfung durch den Senat – denn er hat dem Viertel die Szene ja auf den Hals gehetzt – noch. Zu wünschen wäre es ihr. uwi
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