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Prominent in der Provinz

■ Ein Besuch bei Thüringens Ministerin Dagmar Schipanski, als sie gerade „Frau des Jahres“ wird

Berlin (taz) – Huch, was kann diese Frau widerborstig sein. Vor wenigen Stunden ist durchgesickert, dass Dagmar Schipanski die „Frau des Jahres 1999“ sein wird. Nun sitzt sie beim Interview und gibt beinahe jede Frage ironisch, knapp, zickig zurück. „Das habe ich eben schon gesagt“, repetiert sie gerade unwirsch. Sagt einfach „Nein“. Oder: „Das kann sein“.

Was ist nur los mit der als nett, zuvorkommend, intelligent beschriebenen 56-Jährigen? Welche Laus ist ihr über die Leber gelaufen? Ausgerechnet heute, an dem Tag also, da der „Deutsche Staatsbürgerinnen-Verband“ eine Lobesarie über die ostdeutsche Wissenschaftlerin verbreitet: Die Jury sei beeindruckt gewesen von der Souveränität, mit der die Parteilose als CDU-Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten an die Öffentlichkeit getreten ist. Souverän? Keine Spur.

Ein bisschen liegt es gewiss am beharrlichen Regen, der den Erfurter Juri-Gagarin-Ring heute tief ins Kaukasische verlegt. Ach, diese pompösen Sparkassen im Osten! Dachte man beim Anblick der Fassaden. Doch es handelt sich um das Ministerium, mit dem Schipanski seit vier Wochen über „Wissenschaft, Forschung und Kunst“ in Thüringen regiert. Dagmar Schipanski ist in der Provinz gelandet, nicht im sonnigen Schloss Bellevue. Für sie kein Grund zur Gram – und keine Premiere. Denn sie kam aus Ilmenau, von der Festkörper-Elektronik. Sehr provinziell, das Städtchen – aber Standort einer der europäischen Top-Unis. Schipanski hat sie nach 1989 mit aufgebaut. Da fällt es schwer, bei der Frage nach der Konkurrenz ruhig zu bleiben.

Oxford am Rennsteig wird Ilmenau genannt, aber für die Presse gibt es nur Glotz, Glotz, Glotz. Peter Glotz, der vermeintliche Star aus dem Westen, bastelt seit ein paar Jahren in Erfurt an einer Uni, die er „Reform-Universität“ getauft hat. „In der Bundesrepublik“, schnappt es aus ihr heraus, „wird nur über die Reform-Uni Erfurt geredet. Und wenn Herr Rektor Glotz weggeht, werde ich von allen Seiten bedrängt, als ob die Uni-Landschaft in Thüringen zusammenbricht.“ Tut sie aber nicht! Und nach dieser Klarstellung ist sie wie ausgewechselt.

„Da habe ich noch nicht darüber nachgedacht“, nimmt sie eine Frage hellwach auf. Sie wird überlegsam, wie Uwe Johnson sagen würde. Ruft sich und uns in Erinnerung, wie sie das Angesprochene bisher immer gesehen hat. Lässt förmlich daran teilhaben, wie sie den Hinweis in ihre Meinungsfindung einbaut. Gänzlich uneitel. So gar nicht, wie Politiker normalerweise sind. Christian Füller

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