: Hausarbeiten ...
■ ... oder die Kunst, einen Bleistift auf seine Spitze zu stellen: Das Frauenkulturhaus TheatLit gastiert mit einer sehenswerten Ausstellung in der Städtischen Galerie
Für Heike Breitenfeld geht das Gesetz der Serie nach Verwendung durch den Magen. Bei einem Japan-Aufenthalt hat die 1960 in Hannover geborene Künstlerin ihre Speisen vor dem Verzehr in einer Brotdose angerichtet und fotografiert. Drei Bilder entstanden Tag für Tag und dokumentieren als „Japanese Lunch Boxes“ eine interkulturelle Orientierungssuche: Am Anfang, sagt sie, habe sie Lebensmittel eingekauft, die ihr vertraut erschienen. Erst nach und nach habe sie sich an unbekannte Speisen herangetraut. 28 Tage (!) umfasst Heike Breitenfelds Zyklus (!), der jetzt in der vom Frauenkulturhaus TheaLit zusammengestellten und überaus gelungenen Künstlerinnen-Ausstellung „Serialität: Reihen und Netze“ in der Städtischen Galerie zu sehen ist.
Ja ja, ein Zyklus. Wenn bei einer Ausstellung ausschließlich Arbeiten von Künstlerinnen versammelt sind, geht es auf den ersten (Männer-) Blick immer etwas häuslicher oder leiblicher zu als bei den Herren Kollegen. Die geweckten Assoziationen kreisen eher um die reproduzierende Seite der Medaille Arbeit als um die produzierende. Und das nicht nur bei Künstlerinnen wie Rosemarie Trockel, die sich damit ironisch und so ganz bewusst auseinandergesetzt hat.
Schon vor zwanzig Jahren muss-te etwa Hanne Darboven in der Besprechung einer Ausstellung lesen, dass ihre Kunst irgendwann im Kontext „Hausarbeit“ unterzugehen drohe. Aber dieser Kritiker sah in ihren Zahlen- und Quersummenreihen, den Literatur- und Textzerlegungen auch eine sperrangelweit offen stehende Hintertür: Man könnte Darbovens Kunst auch im Zusammenhang mit Computertechnik denken. Und tatsächlich gibt dieser Weg durch die Hintertür in der neu und multimedial vernetzten Welt heute die Richtung an.
Hanne Darboven setzt als bekannteste Künstlerin in der Ausstellung den Angelpunkt. Die Kuratorinnen Elke Bippus und Andrea Sick zeigen mit den „Sechs Filmen nach sechs Büchern über 1968“ und der „Webstuhlarbeit“ von 1996 zwei Beiträge der Darboven und wollen sie zusammen mit den anderen jüngeren Künstlerinnen aus Bremen, Hamburg, Braunschweig und anderen Städten in ein neues Licht rücken. Es scheint auf ältere und neue Beiträge der hier in verschiedenen Disziplinen erarbeiteten seriellen Kunst. Irgendwie durchdacht, aber zugleich auch beliebig abstrakt, sagt Elke Bippus: „Die Ästhetik der Reihen verändert sich in den 60er Jahren zu einer Ästhetik der Netze“, und sie fährt fort: „Ich will nicht die Reihe durch die Netze ersetzen.“ Kann sie auch gar nicht, weil sowieso Jede macht, was sie sich vorgenommen hat.
Bettina Blohm macht wiederkehrende Bögen und andere Motive traditionell mit Farbe und Leinwand zur Serie. Ebenfalls in der Malerei, aber in der Geduldsarbeit ziemlich eng mit dem Zahlenchronisten Roman Opalka verwandt, zeichnet Ellen Wolff schwarze Linien auf eine Fläche, die sich zu Netzen verweben. Die Malerei tritt in dieser Ausstellung allerdings in den Hintergrund. Video- und andere Installationen sowie ein Internet-Projekt dominieren in den drei Räumen der Städtischen Galerie.
Von der vergeblichen Mühe, einen Bleistift auf seine Spitze zu stellen, erzählt Ina Hattebier unter anderem in ihrer unbetitelten Videoinstallation. Die Plackerei, das eigene Heim vor dem Verfall zu retten, schwingt hier genauso mit wie die Taten des legendären Herrn Sisyphos. Gleich mehrere Künstlerinnen beschäftigen sich – auch auf den zweiten Blick – mit der Reproduktion: Das bezieht sich neben der Arbeit auch auf den Themenkom-plex „Original und Kopie“, auf den die Bremer Museen mit ihrem Projekt „Wir haben die Originale“ schon vorbereitet haben.
Interessant zum Beispiel sind Christiane Fichtners aus Installation, Fotos, Videos und einer Performance zusammengesetzte „Gebrauchsspuren“. In einer Fotoserie thematisiert sie den Verschleiß und damit die Aneignung von Jeans durch ihre TrägerInnen. Das ausgebeulte Knie oder das Loch am Hintern erklärt Fichtner ihrerseits zum Original und macht den Verschleiß bei einer Hosenkollektion von Anfang an sichtbar. Das hat zwar längst seine Entsprechung in der Mode und den am Knie gerissenen Jeans von der Stange. Aber ihr multimedialer Ansatz wirft auch auf dieses Thema ein neues Licht.
Insgesamt 13 Künstlerinnen haben Elke Bippus und Andrea Sick zu ihrem diesjährigen „Herbstlaboratorium“ eingeladen, das die Grenzen zwischen Kunst und Naturwissenschaft mühelos überschreitet und neben der Ausstellung auch aus einem Vortrags- und Filmprogramm besteht. Unter all den erwähnenswerten Beiträgen in der Galerie stechen zwei besonders heraus: Heike Walter hat zehn Frauen gebeten, einen Monat lang Buch über ihre Befindlichkeiten, Gewohnheiten oder ihren Fernsehkonsum zu führen und sie von 1 bis 12 zu benoten. Diese Werte hat Heike Walter unter dem Titel „Delfina Projekt“ in großformatige Portraitfotos der Frauen mit verschiedenen Unschärfe-Werten übersetzt. Wer wenig fernsieht, ist auf dem Foto zu erkennen. Wer etwas ganz intensiv macht, verschwindet im Nivana der Unschärfe.
Diese Arbeit gewährt den BetrachterInnen die passive Role. Cornelia Sollfrank dagegen verwandelt ihr Publikum in KünstlerInnen. Sie animiert bei ihrem Internet-Projekt dazu, ihre „Netzkunst-Generatoren“ mit Abfragen zu füttern. Je nach Stichwort erstellen die Generatoren neue Bild-Collagen aus den Website-Bausteinen Bild und/oder Text. Da kann der „Schaltknopf“ namens „secrets“ in ein Bildornament rutschen. Doch auch wenn die Zufallskunst nicht so deutlich ausfällt: Aus der ornamentalen Bildsprache vieler Internetseiten sowie den aus dem Zusammenhang gerissenen und so zu konkreter Poesie werdenden Texthappen entsteht etwas Neues. Das ist Reproduktion. Aber hier geht niemand in scheinbar unwichtigen Kontexten unter. ck
Ausstellung bis zum 5.12. in der Städtischen Galerie. Eröffnung: heute, 6.11., 19 Uhr. Symposion am 20. und 21.11.. Filmprogramm „Serial/Gender Killer“ vom 15.11. bis 11.12. im Kino 46. Über Symposion und Filmprogramm informieren wir rechtzeitig. Infos schon jetzt unter Tel.: 70 16 32
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen