: Opium ist Himmel und Hölle zugleich
■ Von Sonntag an setzt sich das Erste mit „2000 Jahre Christentum“ auseinander. Die 13-teilige Reihe geriet telegen und spannend wie ein Abenteuerroman. Folge 1: „Von Jesus zu Christus“ (immer sonntags, 17.15 Uhr, ARD)
Einer der berühmtesten Erkenntnissätze der marxistischen Orthodoxie lautet: „Religion ist Opium fürs Volk.“ Doch er wurde immer falsch zitiert, und zwar aus schlechten Gründen – um vom eigenen religiösen Gehalt politischer Zuversicht nichts wissen zu wollen. Marx formulierte, Religion sei „Opium des Volkes“. Die falsche Überlieferung tat so, als würden Glaubensformen in die Menschen hineingetrichtert, der richtige Satz barg die zutreffende Vermutung, dass die Menschen glauben, weil sie glauben möchten; und dass sie sich in Form des Glaubens ein Bild von der Wirklichkeit machen und von den Dingen, die sie nicht verstehen.
Die Ironie der Geschichte ist nun, dass der Marxismus selbst zum Glaubensgebäude mutierte und seine Jünger als Geschla- gene und bestenfalls Hoffende zurückließ: So oder so, die Erde wird rot? Mit den Christen gemein haben sie, dass auch die Ihren verfolgt wurden oder selbst Ungläubige verfolgten, blutig oder auch nur behördlich.
Die Geschichte der Entstehung des Christentums, dieses besonders intensiven mentalen Opiats, erzählt von Sonntag an eine dreizehnteilige Reihe, Titel: „2000 Jahre Christentum“. Bis 6. Februar ist zu erfahren, wie vor 2000 Jahren aus einem „rebellischen Rabbi“ erst Jesus von Nazareth und schließlich Christus wurde. In nachgestellten Spielszenen wird von der Leidensgeschichte der Gottgläubigen unter den römischen Besatzern, aber auch unter den Kollaborateuren im Jerusa- lem der damaligen Zeit berichtet. Und das weder frömmelnd noch mit evangelikalem Tremolo.
Alle Ingredienzen einer ordentlichen Geschichte über die Christenheit sind vorhanden: Himmel und Hölle, Sühne und Vergebung, Blut und Feuer, Tod und Leben. Und so dokumentarisch sich die Serie dabei anschaut, hat sie sich doch nicht von den Gesetzen für einen spannenden Film verabschiedet, der sich meist gegen eine Sportsendung auf dem anderen Kanal behaupten muss. Da sind überlieferte Zeugnisse zu hören von Frauen, die in Rom wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen werden sollen; oder auch solche, die von der Anmaßung zeugen, den richtigen Glauben zu glauben und deshalb kreuzzüglerisch die Welt zu beglücken. Dagegen mag man dramaturgische Einfälle wie den Blitz als albern empfinden, der in der Folge der Reformation neben Martin Luther in die Erde fährt: Derlei erschreckt vielleicht kleine Kinder, aber das können die Amerikaner wirklich besser.
Sinnvollerweise ungeklärt lässt die Serie, ob der Glaube an diesen christlichen Gott schon deshalb nicht ein Irrtum war, weil kein Gott der Welt den Menschen die Furcht vor dem Leben und die noch größere Angst vor dem Tod nehmen kann. Ist das Wort Gott also nur eine Ausrede für den Kummer, der sich nicht erklären lässt? Diejenigen jedenfalls, für die ein Leben in der Tradition von Jesus Christus immer wichtig war und die an diesem Anspruch scheiterten, weil niemand vollkommen ist und werden kann, kommen nicht als Irre oder Wirre daher.
Selten wurde die Geschichte der größten Hoffnungsbewegung der letzten 2000 Jahre so gelungen telegen erzählt. Und wir möchten nicht 1.800 Jahre warten, bis die des Himmelreichs auf Erden, altmodisch gesprochen: des Kommunismus, aufgearbeitet wird. Im Himmel nämlich gibt es vermutlich keine Fernseher.
Jan Feddersen
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