: Nachts sind alle verdächtig
Burundi schlittert zurück in den Bürgerkrieg. Hutu-Rebellen kämpfen sogar in der Hauptstadt gegen Tutsi und „Verräter“. Die Armee betreibt Massendeportationen ■ Aus Bujumbura Peter Böhm
Auf dem Weg nach Kinama schien der Taxifahrer etwas störrisch. Hutu-Extremisten hatten in diesem Hutu-Viertel im Norden der burundischen Hauptstadt Bujumbura vor einiger Zeit einige Häuser überfallen. „Hier soll ich anhalten?“, fragt er ungläubig, als er den Tatort erreicht, und fährt weiter.
„Ja, das wäre schön“, bekommt er vom Journalisten zur Antwort. „Wie soll ich sonst mit den Leuten reden?“ Als der Fahrer weiterfährt, bittet sein Fahrgast ihn umzudrehen. „Hier soll ich also umdrehen?“, fragt er noch einmal – und tut es dann schließlich auch. Er scheint erleichtert, dass er im Auto warten darf und schließt die Türsicherungen, als sein Gast in einem der Häuser verschwindet.
Die ermüdende Prozedur wiederholt sich an diesem Nachmittag noch ein paar Mal. Am nächsten Tag erklärt der Hotelangestellte, der den Fahrer vermittelt hatte: „Das musst du verstehen. Der Fahrer ist Tutsi.“
„Wir sind die Armee Jesu Christi“, singen die Rebellen
Eigentlich hätte man sich das denken müssen, denn ein solches Verhalten ist nur zu verständlich. 200 000 Menschen sollen im Kampf zwischen Hutu-Rebellen und Tutsi-dominierter Armee in Burundi seit 1993 umgekommen sein. Bujumbura ist heute eine geteilte Stadt: Hutus ziehen in Hutu-Viertel, Tutsi in andere. Nur in einigen reichen Vierteln und in der Innenstadt ist diese Trennung aufgehoben. Das Misstrauen zwischen den zwei Gruppen ist enorm, und wenn Tutsi in ein Hutu-Viertel fahren, dann höchstens tagsüber. Seit dem Ende des Sommer ist die Lage wieder eskaliert. Angriffe der Hutu-Milizen auf die Vororte der Hauptstadt sind normal geworden.
Wenn die Nacht einbricht, herrscht in Bujumbura der Ausnahmezustand. Nach Sonnenuntergang wachsen Straßensperren aus dem Boden, nach 22 Uhr gilt Ausgangssperre. Fischer dürfen nicht mehr auf den Tanganijka-See hinausfahren, an dem Bujumbura liegt, weil die Hutu-Milizen offenbar vom kongolesischen Seeufer gegenüber das Gewässer überqueren, um Burundi anzugreifen.
Und auch wenn das die Regierung nicht zugeben möchte: Nicht alle Straßen ins Landesinnere sind sicher. Man kann in einen Hinterhalt geraten; wer trotzdem fährt, tut dies auf eigene Gefahr. Bujumbura macht deshalb den Eindruck einer belagerten Stadt.
Bei dem Angriff auf Kinama Anfang Oktober überfielen rund 60 Männer in neuen Uniformen, die jenen der burundischen Armee aufs Haar glichen, gezielt einige Hütten am äußersten Stadtrand. Sie gingen von Tür zu Tür und erschossen 13 Männer – all jene, die sie dort antrafen. Zawadi Ndakirutimavu, die dabei ihren Bruder und einen mit der Familie wohnenden Waisen verlor, berichtet, dass die Angreifer Matratzen, Schulbücher und Schuluniformen der Kinder, buchstäblich alles von Wert, aus ihrer Lehmhütte wegschleppten.
Wie die anderen Überlebenden sagt die junge Frau, dass ein Teil der Rebellen Ruandisch sprachen, also wohl Ruander waren. Und da die Gruppe mit der gesungenen Parole „Wir sind die Armee Jesu Christi“ auf den Lippen in den Angriff zog, darf man davon ausgehen, dass unter ihnen Elemente der ruandischen Hutu-Miliz „Interahamwe“ waren, die sich inzwischen „Ruandische Befreiungsarmee“ (ALIR) nennen und aus dem Kongo weiterhin gegen Ruandas Regierung kämpfen.
Der Überfall war offenbar eine Racheaktion dafür, dass in Kinama in der Vorwoche ein Kommandant einer burundischen Hutu-Miliz namens „Nationale Befreiungsfront“ (FNL) festgenommen worden war. Bevor die Rebellen Zawadis Bruder erschossen, sagten sie zu ihm: „Du wirst unseren Kommandanten im Himmel wiedersehen.“ Der „Kommandant“ hatte sich nach den Männern erkundigt, die sich jede Nacht abwechseln, um in Kinama Streife zu laufen, und sich so verdächtig gemacht. Anhand von Notizen, die man bei ihm fand, konnten noch vier weitere Rebellen in Kinama und 11 außerhalb von Bujumbura festgenommen werden.
„Die Hutu-Extremisten haben schon sieben Anschläge auf mich verübt“, berichtet der Bezirksleiter von Kinama, Eddry Nziragucumura. „1996, als es das (Hutu-)Rebellenradio im Kongo noch gab, rief es zu meiner Ermordung auf, Flugblätter wurden hier verteilt, aber ich arbeite weiter.“
Nziragucumura war den Hutu-Extremisten deshalb ein Dorn im Auge, weil er sich dafür stark gemacht hatte, dass die einst vor der Armee geflohenen Bewohner von Kinama schon im Oktober 1995 wieder aus der Umgebung und den Flüchtlingslagern im Kongo zurückkehrten. Die Extremisten, sagt er, „wollten zeigen, dass in Bujumbura nur Tutsi leben können, und jeder Hutu, der zurückkehrte, galt ihnen als Verräter“.
„Leute mussten ihre Häuser verlassen“, sagt die Armee
Ein Muster wie das des gezielten Racheaktes in Kinama lässt sich bei den Milizenangriffen auf die Vororte von Bujumbura jedoch nicht immer bestätigen. Andere dienen offenbar nur dazu, die Bevölkerung zu terrorisieren und zu zeigen, dass die Armee sie nicht beschützen kann.
Da die Rebellen offensichtlich über Anhänger in der Stadt verfügen, ist jeder Hutu verdächtig. Wer am Tage ein Händler oder Handwerker ist, kann sich in der Nacht in einen Rebellen verwandeln. Und die Armee reagiert deshalb mit gewohnter Härte. 65 Prozent der Bewohner der Provinz um Bujumbura wurden nach Angaben des UNO-Büros für Humanitäre Angelegenheiten (OCHA) seit September von der Armee aus ihren Häusern vertrieben. Insgesamt 300.000 Menschen wurden in 35 Vertriebenenlager gepfercht, die im Jargon der Armee „Bewachte Siedlungen“ heißen.
In der „bewachten Siedlung“ Kavumu, mit dem Auto nur 15 Minuten Weg in die unmittelbar östlich Bujumburas liegenden Berge, leben knapp 16 000 Menschen. Auf dem Weg dorthin, just nach den letzten Wohnhäusern der Hauptstadt, zeigt der begleitende Armeeoffizier auf die weiten umliegenden Hänge und sagt: „Hier und ja, da auch, mussten die Leute ihre Häuser verlassen.“
Ganze Regionen wurden so entvölkert, und zimperlich ging es dabei auch nicht zu. „Die Armee kam am 20. September und sagte, wir suchen nach Rebellen“, berichtet Bezirksleiter Jean-Paul Biamke, der sich zuvor erstaunlich gemäßigt über die Situation der Menschen in dem Lager geäußert hat. „Wir wissen von allein 20 Leuten, die umgekommen sind und begraben wurden. Dabei sind die nicht mitgezählt, die noch irgendwo im Busch liegen.“
„Wir beschränken uns“, sagt die Hilfsorganisation
In den ersten Tagen lagerten die Menschen auf der Bergkuppe unter freiem Himmel. Inzwischen haben sie dicht an dicht provisorische Hütten aus Ästen und Palmwedeln errichtet – die Glücklicheren mit ein paar Stücken Wellblech dazu. Eine Hilfsorganisation hat vier Latrinen gegraben, und da die nicht ausreichen, fließt das übelriechende Abwasser zwischen den Hütten den Hügel hinunter. Innerhalb von wenigen Tagen entstand hier eine kleine, schäbige Stadt aus dem Nichts, und auch wenn die Handwerker vor ihren Hütten schon wieder Schuhe reparieren oder Kleider nähen, so ist doch die Enge, der Gestank und der Rauch von den Kochfeuern schwer zu ertragen.
„Einmal in der Woche darf jeder turnusmäßig zu seinem Haus gehen, um etwas zu Essen zu holen“, berichtet Biamke. Obwohl im Augenblick Regenzeit ist, hätten die Menschen aber noch nicht angepflanzt. „Wir können nicht säen und dann die Pflanzen für eine Woche allein lassen.“
Die burundischen Behörden versorgen die Menschen nicht, und auch die Hilfsorganisationen beschränken sich auf das Notwendigste. Es gibt ein Zelt, in dem grundlegende Medikamente ausgegeben werden, und einmal am Tag kommt ein Lastwagen mit Trinkwasser.
Die Menschen in Kavumu haben keine Staatsgrenze überschritten, geniessen also keinen international anerkannten Flüchtlingsstatus. Außerdem wurden sie von der Armee absichtlich vertrieben. „Deshalb“, sagt OCHA-Mitarbeiterin Marie Dimond, „beschränken wir uns auf sogenannte lebenserhaltende Maßnahmen. Wir wollen die Leute nicht ermutigen, dort zu bleiben.“
Durch die Überfälle der Rebellen und die Antiguerillastrategie der Armee ist Burundi in einer katastrophalen humanitären Situation. Fast 90 Prozent der Bevölkerung hat ihren Broterwerb in der Landwirtschaft, aber viele sind durch den Krieg nicht mehr in der Lage, ihre Felder zu bestellen. 800.000 Menschen leben als Vertriebene im eigenen Land. Nimmt man die 300 000 Flüchtlinge in den Nachbarländern hinzu und rechnet die Bevölkerung der Hauptstadt heraus, die fast ausschließlich in den modernen Sektoren beschäftigt ist, lebt jeder fünfte Burunder nicht mehr in Haus und Hof.
In Bujumbura kann sich keiner mehr sicher fühlen. Da die Armee nicht allgegenwärtig sein kann, versucht sich jeder selbst zu schützen, so gut es geht. In armen Vierteln wie Kinama laufen die Männer nachts unbewaffnet Streife. „Wir können nur laut rufen, um die Armee zu alarmieren“, sagt Bezirksleiter Nziragucumura. Doch Zawadi, die mit ihren Kindern inzwischen in einem anderen Viertel übernachtet, hat nicht viel Vertrauen in diese Maßnahme: „Ich bin nach dem Angriff gleich zum Gendarmerieposten gelaufen. Die Polizisten sagten: Ja, wir kommen gleich – aber sie sind die ganze Nacht nicht aufgetaucht.“
Wer es sich in Bujumbura leisten kann, hat ein Gewehr zu Hause im Schrank stehen. „Die Leute hier“, sagt der Generalsekretär der größten Hutu-Partei „Frodebu“, Domitien Ndayseye, „haben alle Gewehre zu Hause.“ Und mit einer ausladenden Handbewegung weist er auf sein Viertel Mutnga-Süd – eines der nobleren Teile der Hauptstadt. Die Regierung hat im Zuge der „Politik des Selbstschutzes“ Schusswaffen ausgegeben.
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