: Mohammed VI. steht für Marokkos Wandel
Der junge Monarch tritt für Erneuerung in Verwaltung und Justiz ein. Doch den Widerstand gegen das Westsahara-Referendum hat er nicht aufgegeben. Und die Justiz sorgt weiterhin für Abschreckung ■ Von Reiner Wandler
Madrid (taz) – Marokkos junger Monarch macht sich an die Arbeit. „Der öffentliche Dienst muss sich durch eine hohe Moral auszeichnen“, fordert der seit dem Tode seines Vaters Hassan II. amtierende Mohammed VI. und lässt keinen Zweifel daran, dass er Land und Verwaltung reformieren will. Zu verknöchert und zu korrupt seien die Institutionen im Alevitenreich, erklärt der 36-Jährige in seinen Reden und kündigt an, damit aufzuräumen. Nicht nur um dem Bürger das Vertrauen in den Staat zurückzugeben, sondern auch um ausländischen Investoren Rechtssicherheit zu geben. „Mangelnde Koordination zwischen den verschiedenen Entscheidungszentren, die langsame Veröffentlichung der Dekrete, der Graben zwischen dem Geist der Texte und ihrer Umsetzung“, das seien Gründe für die von ihnen verursachten „strukturellen Probleme“, so der Monarch vor hohen Beamten in Casablanca.
Solch klare Worte lassen die Beliebtheit des Königs steigen. Längst hatten die meisten Menschen den Glauben an die Reformpolitik unter dem sozialistischen Ministerpräsident Abderrahmane Youssoufi verloren. Jetzt hoffen sie, dass der König es richten wird. Mohammed VI. stellte sich von Anfang an hinter den Ministerpräsidenten. Er sei der wichtigste Mann, um aus Marokko einen Rechtsstaat zu machen, verkündete der Thronerbe noch während der 40-tägigen Staatstrauer.
Und Mohammed VI. setzte Zeichen, um zu zeigen, dass die dunklen Jahre endgültig der Vergangenheit angehören. Mit Abraham Serfaty durfte der letzte exilierte Oppositionelle zurück ins Land. Eine köngliche Limousine holte ihn am Flughafen von Casablanca ab. Auch die Familie des 1965 in Frankreich vom königlichen Geheimdienst ermordeten Regimekritikers Mehdi Ben Barka wurde mit Einreisepapieren ausgestattet. Opfer der Willkür und Repression sollen entschädigt werden. In Casablanca versammelten sich 400 ehemalige politische Gefangene, um einen Verein zu gründen, der ihre Ansprüche auf Wiedergutmachung geltend machen soll.
Eindeutiger Verlierer dieser neuen Politik ist der Innenminister: Driss Basri, die rechte Hand des verstorbenen Königs, war als Aufpasser und Bremser in die Koalition von Youssoufi geschickt worden. Die Rückkehr seines politischen Erzfeindes aus dem Exil, die Abwesenheit Basris bei öffentlichen Anlässen, die Ernennung eines jungen Journalisten von der kritischen Wochenzeitung Le Journal zum Sprecher des Palastes – den Marokkanern, gewohnt, zwischen den Zeilen zu lesen, entgeht kein noch so kleines Detail. Viele im Land sind sich sicher, dass Basri langsam an den Rand gedrängt wird.
Bei einer ersten Rundreise durch sein Reich ließ sich der junge Monarch feiern, sogar im Rif, der Berberregion im Norden, wurde er begeistert empfangen. Hassan II. hatte sich nie dorthin gewagt, schließlich war er es, der 1958, am Vorabend der Unabhängigkeit, als Kronprinz die Militäroperation befehligte, mit der die Rebellion der Berber niedergeschlagen wurde. Später, an der Macht, bestrafte er den Norden mit Nichtbeachtung – die Folge war der wirtschaftliche Verfall der Region. Mohammed VI. versprach jetzt, die Wunden zu schließen und ein Sofortprogramm für Investitionen aufzulegen. Nur bei einem Thema legt der junge Monarch wenig Eile an den Tag, bei der Frage des nun für Juli 2000 geplanten Referendums über die Unbhängigkeit der seit 1976 besetzten Westsahara. Wie sein Vater spielt er auf Zeit. „Die Abstimmung wird um mindestens drei Jahre verschoben werden müssen“, verkündete Innenminister Basri jüngst. Zur Begründung verwies er auf die 80.000 Widerspruchsverfahren gegen die von der UN-Mission für das Referendum (Minurso) erstellten Wählerlisten.
Seit dem Waffenstillstand von 1991 zwischen Marokko und der Polisario warten die Sahrauis auf den Urnengang und müssen sich Jahr um Jahr vertrösten lassen. Jetzt sind sie mit ihrer Geduld am Ende. Mit dem Ruf „Osttimor ist gleich Westsahara“ ziehen vor allem junge Menschen seit Mitte September durch die Straßen von El Aaiún, der Hauptstadt der besetzten Gebiete. Rabat reagiert verwirrt auf das, was die spanische Presse die „sahrauische Indifada“ nennt. Zum einen schickt Mohammed VI. weitere Soldaten und Polizisten, die die Demonstrationen unterdrücken sollen. Zum anderen will der Monarch mit Hilfe einer Beraterkommission die soziale Lage der Sahrauis verbessern. Gestern aber wurden erst einmal 25 der Demonstranten zu 15-jährigen Haftstrafen verurteilt. 13 weitere stehen noch wegen „Rebellion“ vor Gericht. Ein Rückfall in längst vergangen geglaubte Zeiten.
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