: Der gefährliche Balanceakt des Ehud Barak
■ Der israelische Premierminister lässt zum ersten Mal seit 1982 jüdische Siedlungen gewaltsam räumen. Gleichzeitig werden aber andere in den besetzten Gebieten ausgebaut
Israels Premierminister Ehud Barak war gerade von der Konferenz der Sozialistischen Internationale zurückgekehrt, als er den Befehl zu Räumung des Siedlerstützpunktes Chawat Maon gab. Die radikalen Siedler hatten die Abmachung zwischen der Regierung und der vergleichsweise gemäßigten Siedlervertretung Jescha ignoriert. Ihre Begründung: die Jescha repräsentiere sie nicht und könne folglich nicht für sie sprechen und Vereinbarungen treffen.
Barak hatte trotz des Drucks der Palästinenser gezögert. Erst nach Ablauf verschiedener Ultimaten rang er sich dazu durch, die israelische Armee den Siedler-Außenposten räumen zu lassen.
Die Räumung von Chawat Maon ist aber auch mit Blick auf das Verhaltungen der Soldaten bemerkenswert. Obwohl viele der Soldaten selbst aus den Reihen der jüdischen Siedler im Westjordanland stammen, gab es keine einzige Befehlsverweigerung.
Zum ersten Mal wurde eine über Monate bewohnte Siedlung im Westjordanland von israelischen Soldaten geräumt. Einen vergleichbaren Fall hat es bislang nur im Sinai gegeben; 1982 als die israelischen Militärs im Anschluss an den Friedensvertrag mit Ägypten mehrere tausend jüdische Siedler aus der Halbinsel abtransportierten.
Während die damalige Regierung sich lange scheute, jüdische Soldaten gegen jüdische Siedler vorgehen zu lassen, sodass der Widerstand im Sinai langfristig organisiert werden und viele Uunterstützer anreisen konnten, wurde jetzt nach Ablauf der Ultimaten nicht lange gefackelt. Denn jeder zusätzliche Tag hätte die Räumung weiter erschwert. Und im Rahmen der Friedensverhandungen wird es nicht die letzte gewesen sein, auch wenn Barak behauptet, dass „keinesfalls alle Siedlungen aufgegeben werden“. Die israelische Regierung tut gut daran, von der Entscheidung bis zur Ausführung der Räumungen keine Zeit vergehen zu lassen.
Ehud Barak agiert auf zwei Gleisen. Nicht zu Unrecht beschweren sich die Palästinenser über die Doppelzüngigkeit des Israelis. Denn während Barak vereinzelte Siedlungsstützpunkte räumen lässt, wird der Bau in anderen Siedlungen vorangetrieben. Über 60 Siedlungen würden erweitert, so heißt es in Unterlagen, die kürzlich der Regierung zur Prüfung vorgelegt wurden. Besonders fragwürdig ist der Ausbau einer Siedlung wie Itamar, die isoliert von anderen Siedlungen, zwischen drei palästinensischen Dörfern im Norden des Westjordanlandes liegt und damit keinerlei sicherheitspolitische Rechtfertigung hat. „Der Ausbau von Siedlungen ist zweitrangig, solange es noch keine Vereinbarungen gibt“, meinte Barak. Ein erneuter Rückblick auf die Siedlungen im Sinai mag ihm insofern Recht geben, als dass ein Ausbau nicht zwingend den ewigen Fortbestand bedeutet. Auch in den Ausbau der jüdischen Ortschaften im Sinai wurde praktisch bis zum Tag der Räumung investiert.
Die Palästinenser beobachten den Ausbau der jüdischen Siedlungen mit wachsendem Argwohn. Sie sehen in den unerwünschten Nachbarn, die sich auf ihrem Land ausbreiten und ihnen das kostbare Wasser wegtrinken, das größte Hindernis auf dem Weg zum Frieden.
Susanne Knaul
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