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Im Dornröschenschlaf

■  Gehört die Prinzhorn-Sammlung mit Kunst von psychisch Kranken in eine geplante Berliner Gedenkstätte für die Euthanasieopfer der NS?

Die Zukunft der Prinzhorn-Sammlung wird heftig diskutiert. Nach Ansicht von Professor Christoph Mundt, dem Leiter der psychiatrischen Klinik Heidelberg, muss die Sammlung mit Bildern psychisch kranker Patienten auf jeden Fall in Heidelberg bleiben. Zu diesem Zweck baut die Universität ein Hörsaalgebäude zum Museum um, das im Sommer 2000 mit einem wissenschaftlichen Kongress eingeweiht werden soll. Parallel dazu plant der Bundesverband der Psychiatrieerfahrenen (BPE) die Errichtung einer Gedenkstätte für die Euthanasieopfer während der Nazizeit in der Berliner Tiergartenstraße 4. Auch dort soll die Prinzhorn-Sammlung dauerhaft ausgestellt werden.

Untergebracht ist die Sammlung in Räumen der psychiatrischen Klinik der Heidelberger Universität. Dabei handelt es sich um etwa 5.000 Gemälde, Zeichnungen und Objekte von Stickereien über Skulpturen bis hin zu geformtem Brotteig. Die Kunstwerke wurden um die Jahrhundertwende von zumeist schizophrenen Patienten verschiedener europäischer Anstalten angefertigt und vom Heidelberger Psychiater und Kunsthistoriker Hans Prinzhorn zwischen 1919 und 1921 zusammengetragen. Der historische und künstlerische Wert der Sammlung ist weltweit einzigartig. Alle Werke sind absolut authentisch, weil der Geist der Künstler noch nicht mit der Einnahme von Psychopharmaka beeinflusst wurde, wie es seit den Sechzigerjahren Praxis geworden ist.

„Das Genie zeigt den menschlichen Geist in seiner ganzen Schönheit, während der Verrückte ihn durch seine arglose Unbeholfenheit in seiner Nacktheit enthüllt. Wir werden hierdurch weniger geblendet, haben dafür aber die Chance, klarer zu sehen“, schrieb der französische Psychiater Paul Meunier schon 1907. Das Studium der Werke psychisch Kranker könne die Bedingungen des künstlerischen Schaffensprozesses erhellen. Auch Professor Mundt sieht den Wert der Sammlung in ihrer Bedeutung für die Kreativitätsforschung. Er ist der Ansicht, allein der künstlerisch-kreative Aspekt habe der Sammlung ihren besonderen Charakter gegeben.

Dass es sich bei Teilen der Prinzhorn-Sammlung um große Kunstwerke handelt, darin sind sich der Heidelberger Universitätsprofessor und der ehemalige Präsident der Berliner Akademie der Künste, Professor Walter Jens, einig. Professor Jens gehört dem Freundeskreis an, der die Planung der Berliner Gedenkstätte nach Kräften unterstützt. In einem Seminar hatte Jens unbekannte Meisterwerke mit Werken der Prinzhorn-Sammlung gemischt. Die Kunsthistoriker konnten sich unter dem Aspekt der Qualität nicht einig werden. „Doch das ist nur das eine“, sagt Jens. Für ihn ist, anders als für den Heidelberger Universitätsprofessor, die Sammlung untrennbar mit einer politischen Dimension verbunden. „Indem man diese grandiose Sammlung zeigt, wird zugleich deutlich, welche Menschen damals ermordet worden sind. Es ist ein Exempel, das zeigt, wie groß die Untaten sind.“

Der politische Kontext, in dem die Prinzhorn-Sammlung in Berlin ausgestellt werden soll, wird schon durch den gewählten Ort des geplanten Museums in der Berliner Tiergartenstraße 4 deutlich. An diesem Ort wirkte der nationalsozialistische Heidelberger „Euthanasie“-Psychiater Carl Schneider als „Gutachter“ über Leben und Tod. Von diesem Ort aus wurde von der „Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten“ die systematische Registrierung und spätere Ermordung geistig Behinderter organisiert und durchgeführt. An diesem Ort kann daher nach Ansicht der Berliner Initiative das Ziel, Verständnis für die Probleme der Mitmenschlichkeit und Menschenwürde im Rahmen psychiatrischer Maßnahmen zu wecken, am besten verwirklicht werden.

Auch Professor Mundt lehnt eine Gedenkstätte für die Opfer der Euthanasie an diesem Ort nicht ab. Er spricht sich jedoch nachdrücklich gegen eine Ausstellung der Sammlung in einem politischen Kontext aus. „Was ich ablehne, ist, dass man die Prinzhorn-Sammlung aus ihrem historischen Kontext herausreißen und für einen historisch nicht gegebenen Partialzweck instrumentalisieren will. Das hat man schon einmal gemacht, als Teile der Sammlung in die Ausstellung 'Entartete Kunst‘ gegangen sind.“ Nach Mundts Auffassung wird die Sammlung zu Unrecht in den Kontext „Euthanasie“ gestellt, da ein Großteil der Patienten vor der Nazizeit verstorben sei. Und „der Akt des Sammelns damals ist ja eine Generation vor den Euthanasieprogrammen geschehen. Diese Querverbindung existiert nicht.“

Der Sprecher des Bundesverbandes der Psychiatrieerfahrenen, René Talbot, sieht in der Weigerung der Heidelberger Klinik, die Prinzhorn-Sammlung nach Berlin und in die Obhut des BPE zu geben, einzig das Bestreben, die wesentliche Beteiligung der Universität Heidelberg an den Massenmorden zu vertuschen. „Wenn die Bilder nach Berlin kämen, würde natürlich dargestellt werden, wie die Psychiatrie mit den Menschen damals umgegangen ist, wie das ein direkter Weg in die Zwangssterilisation und in das NS-Unrecht war. Das endete letztlich in der Euthanasie. Und welchen wesentlichen Anteil die Heidelberger Universität daran hatte, das soll vertuscht und verdeckt werden.“

Professor Mundt hält dagegen: „Die wollen ja Geld vom Berliner Senat für ihr Museum bekommen. Deshalb wollen sie die Sammlung haben, das ist das eigentliche Motiv.“ Er nennt ein weiteres wesentliches Argument dafür, die Sammlung in Heidelberg zu behalten: Die Sammlung müsse da bleiben, wo Euthanasie konkret stattgefunden hat. Und sie müsse bei den Patienten bleiben, weil dort die Entstigmatisierung am wichtigsten sei. Für ihn ist die Sammlung eine ganz wichtige Brücke der klinischen Psychiatrie zur Öffentlichkeit. Für Talbot ist jedoch gerade eine Präsentation der Kunstwerke in der Heidelberger Klinik, an der Carl Schneider seine grausamen Verbrechen begangen hat, das Maximale an Verhöhnung der Opfer“, das er sich vorstellen kann. Darum ist er gegen eine Ausstellung „im Hörsaal der Mörder“.

Zudem wirft Talbot der Klinik vor, die Sammlung unbotmäßig erworben zu haben, weil den Ärzten damals bekannt gewesen sei, dass die Schöpfer der Werke nicht geschäftsfähig waren und dass nie rechtsgültige Schenkungsurkunden ausgestellt wurden. Professor Mundt kann im Sammeln der Bilder allerdings keine Enteignung der Künstler sehen, vielmehr bedeute es „eine enorme Aufwertung der Patienten“. Er ist sich sicher: „Ohne die für die damalige Zeit sehr außergewöhnliche Initiative wären die einzelnen Materialien ja von niemandem beachtet und heute längst vernichtet worden.“

In der Tat sind die Besitz- und Eigentumsverhältnisse ausgesprochen kompliziert. Die Universität Heidelberg ist nach einem Rechtsgutachten zwar durch Verjährung Besitzer der Sammlung geworden, konnte aber nie die Eigentumsrechte erwerben. Die liegen heute bei den Erben der Künstler oder, wenn solche fehlen, bei den Bundesländern, in denen die Patienten zum Zeitpunkt ihres Todes gelebt haben. Der Bundesverband der Psychiatrieerfahrenen sieht sich als legitime Stimme der Psychiatriepatienten in allen sie betreffenden Fragen. Daraus leitet der BPE einen Anspruch auf die Prinzhorn-Sammlung ab. „Eine der Grundregeln der zivilisierten Menschheit ist, dass ein Mörder niemals Eigentum am geraubten Eigentum seines Opfers erlangen darf.“ Auch aus diesem Grund hält der BPE die Heidelberger Klinik für einen ungeeigneten Ausstellungsort.

Für Professor Walter Jens hat die Universität Heidelberg ihre Chance verpasst. „Dabei wären die Heidelberger in keiner schlechten Position, wenn sie die letzten fünfzig Jahre genutzt hätten, um die Prinzhorn-Sammlung in ihrem historischen Kontext angemessen zu präsentieren. Das ist nicht erfolgt.“ Er wagt die Behauptung: „Wäre Berlin nicht gekommen, hätten die Heidelberger ihren Dornröschenschlaf noch lange fortgesetzt. Erst wo Berlin sich meldete, wurde Heidelberg aktiv, war sich seiner Schuld bewusst. Da kann ich nur sagen: Zu spät, Freunde, ihr rettet die Armen nicht mehr, die in einen politischen und auch ästhetischen Kontext gehören. Und zwar in Berlin.“

Ob das Haus des Eigensinns tatsächlich gebaut werden kann, hängt allerdings entscheidend davon ab, ob das Land Berlin als Eigentümer des für die Planung ausgewählten Grundstücks seine Zustimmung zum Bau erteilt. Ein entsprechender Antrag wurde bei der letzten Berliner Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing gestellt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt die Finanzbehörde leider keine Stellungnahme zu den Erfolgsaussichten ab.

Anders hingegen die Berliner Parteien. Während sich der SPD-Politiker Walter Momper klar für die Berliner Initiative ausspricht, hat die CDU noch keine abschließende Position. Uwe Lehmann-Brauns, der kulturpolitische Sprecher der CDU, ist gegen einen „Wald der Mahnmale“ in Berlin und hält „eine Konzentration von Gedenkstätten an zentralen und authentischen Orten“ für sinnvoll. Er findet auch den Standort Heidelberg für die Prinzhorn-Sammlung überdenkenswert. Nach Ansicht der kulturpolitischen Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, Alice Ströver, ist Heidelberg eindeutig nicht der richtige Ort. Mit dem dort geplanten Museum „baut man eine Kontinuität auf, die eine Brechung braucht“. Sie möchte die Berliner Initiative auch von Seiten der Bundesregierung gefördert wissen und hält Kontakt zur Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer. Die beabsichtigt, so Ströver, „das Ganze zu ihrer Sache zu machen, wenn die Gesundheitsreform durch ist“. Dazu Walter Jens: „Frau Fischer: Voran!“

Frank Wenzel

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