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Russlands Generäle im Siegesrausch

Die Armeeführung hat in Tschetschenien vor allem ein Ziel: die Scharte des ersten Feldzuges auszuwetzen. Doch nach sechs Wochen hat sie noch nicht viel erreicht, und die Verluste sind hoch  ■   Aus Moskau Klaus-Helge Donath

An der tschetschenischen Propagandafront sind Russlands Generäle unaufhaltsam auf dem Vormarsch. Ungeschlagen und unbezwingbar. Und daher unbestritten die Helden jeder Nachrichtensendung.

Die gestrige Erfolgsmeldung stammte aus der zweitgrößten tschetschenischen Stadt Gudermes. Der Stellvertreter des russischen Generalstabschefs, General Waleri Manilow, sagte im Fernsehen, die „Säuberung“ der Stadt von „Rebellen“ habe begonnen. Die Armee werde von der Bevölkerung unterstützt. Über nähere Einzelheiten, die das schöne Bild vom erfolgreichen Vormarsch eventuell stören könnten, wurde nicht berichtet.

Soviel Ehr und Efeu hat es für die Militärs schon lange nicht mehr gegeben. Im Gegenteil. Die letzten zwanzig Jahre, der Rückzug aus Afghanistan und Tschetschenien I, glichen einer einzigen Katastrophe, die das künstliche Image der glorreichen Roten Armee endgültig zerstörte.

Tschetschenien II, so haben es sich einige Generäle vorgenommen, soll die blamable Scharte des ersten Feldzuges nun auswetzen. Im Pathos der patriotischen Sprachpflege heißt es, „die Ehre des Vaterlandes wiederherzustellen“. Genauer besehen geht es den federführenden Militärs zuvorderst nur um eins: Die im ersten Waffengang zur Schau gestellte eigene Inkompetenz vergessen zu machen. Alle entscheidenden Generäle an der Kaukasusfront sind gezeichnete Veteranen des Krieges von 1994–96. Generalstabchef Anatolij Kwaschin befehligte damals den nordkaukasischen Wehrkreis. Wiktor Kasanzew, der dem Wehrkreis heute vorsteht, diente als sein Stellvertreter. General Gennadij Troschew befehligte damals die 58. Armee, inzwischen ist er für die Ostfront zuständig. Der die Westtruppen kommandierende General Wladimir Schamanow hatte 1994 die gesamten Truppen des Verteidigungsministeriums unter sich. Der doktrinäre Militärideologe General Walerij Manilow, mittlerweile stellvertretender Generalstabschef, arbeitete damals im Sicherheitsrat, der das gescheiterte Kaukasusabenteuer maßgeblich mitzuverantworten hatte. Um die alte Crew zu komplettieren, holte Kwaschin auch noch General Babitschew, der Grosny stürmen ließ, aus dem Fernen Osten zurück. Treibendes Motiv der Veteranen ist es, Rache zu üben. Wie sie mit der Zivilbevölkerung und Flüchtlingen umgehen, bestätigt überdies ihre Bereitschaft, auch vor einem „totalen Krieg“ nicht zurückzuschrecken. Nach der Devise: Tschetschenien ohne Tschetschenen. Wer ordnete schließlich den Einsatz strategischer Raketen auf den Markt in Grosny an, dem inzwischen ein zweiter folgte? Handelten die Militärs, ohne sich bei dem Oberkommandierenden Jelzin rückzuversichern, wie es in solchen Fällen üblich ist?

Bemühungen, eine politische Lösung herbeizuführen, passen nicht in diese Logik. Auf Gerüchte, Jelzins Administration suche Gespräche mit dem tschetschenischen Präsidenten Aslan Maschadow, reagierten die Generäle denn auch kürzlich mit Schaum vor dem Mund. Schamanow malte ein Menetekel an die Wand und beschwor die Möglichkeit eines Bürgerkrieges herauf. Unzählige Offiziere und Generäle, drohte Schamanow, würden nach einem Friedensschluss den Dienst sofort quittieren. Generalstabschef Kwaschin, der auch hinter dem Husarenstückchen von Priština steckte, soll sogar persönlich bei Jelzin interveniert haben. Droht die Armee zu meutern?

Weder die russische noch sowjetische Geschichte kennen nennenswerte Beispiele. Die Militärs erhoben sich nicht einmal gegen Diktator Stalin, der sie gleich en gros dezimieren ließ. Und sie widersetzten sich auch Jelzin nicht, als der Kremlchef das aufmüpfige Parlament 1993 durch Artillerie zur Raison bringen ließ. Haben sich Haltung und Stimmung grundlegend verändert?

Zugegeben, der grandiose Erfolg an der Propagandafront steigt dem Militär zu Kopf. Hinter den Erfolgsmeldungen gewinnt sogar die Dolchstoßlegende an Glaubwürdigkeit, allein die Intervention der Politiker hätte den Sieg in Tschetschenien verhindert. In Wirklichkeit rang sich Jelzin nach blutigen Niederlagen und bar jeder Alternative durch, den unpopulären Krieg zu beenden. Der russische Militärbeobachter Pawel Felgenhauer hält die Putschfantasien denn auch für reine Hirngespinste. Außer Anatolij Kwaschin, der durch einen Sieg Verteidigungsminister Sergejew verdrängen und seine Kumpanen wenigstens zu Drei-Sterne-Generälen befördert sehen möchte, sei die Mehrheit des Offizierskorps gegen den Vernichtungskrieg. Ein Blick hinter die Kulissen der erstmals wirklich gut geölten russischen Propagandamaschinerie zeigt womöglich die Gründe dafür auf.

Nach sechs Wochen haben die Truppen gerade mal dreißig Kilometer in der dünnbesiedelten Steppe zurückgelegt, ohne Grosny einzunehmen. Der hereinbrechende Winter zwingt sie überdies, sich nun einzugraben. Gegenüber der Zeitung Kommersant räumten verwundete Soldaten einer Eliteeinheit erstmals hohe Verluste ein. Demnach sind von einer 1.200-köpfigen Brigade 70 Prozent gefallen oder verwundet worden. Allein die Angabe aus einer einzigen Einheit übersteigt die offiziellen Verluste – 142 Tote und 365 Verwundete –, die das Verteidigungsministerium eingestand.

Wohlgemerkt, bis auf den heutigen Tag sind die tschetschenischen Freischärler einer direkten Konfrontation mit der Armee ausgewichen. Bisher hatten die Militärs als Grund für das langsame Vorrücken genannt, die Opfer möglichst gering halten zu wollen. Die Soldaten, die in einem Samarer Krankenhaus liegen und anonym bleiben wollten, beklagten, sie hätten im Vergleich zu den tschetschenischen Freischärlern veraltete Ausrüstungen und würden ungenügend verpflegt: „Sie haben bessere Kleidung, bessere Schuhe und bekommen besseres Essen“. Offenkundig haben sich die Probleme und Engpässe, unter denen die Armee im ersten kläglich gescheiterten Kaukasusfeldzug litt, nicht verändert.

Dazu zählt auch der Personalmangel, den die Militärs zu beseitigen versuchen, indem sie Wehrpflichtige an die Front schicken. 1996 hatte Jelzin ein Dekret erlassen, in dem die „Teilnahme an Kampfhandlungen“ auf Freiwilligkeit beruhte. Nun ist es mit der Entscheidungsfreiheit vorbei. Still und heimlich änderte Jelzin den Erlass im Oktober. Wer sechs Monate Wehrdienst geleistet hat, darf in Kampfgebiete entsandt werden. In der Praxis sieht es derweil noch schlimmer aus. In Dagestan bestanden manche Einheiten zu neunzig Prozent aus Wehrpflichtigen, die weniger als zwei Monate gedient hatten. Kanonenfutter, das allemal billiger ist als ein Zeitsoldat, der sich das Risiko gut bezahlen lässt.

Noch steht die Öffentlichkeit hinter dem Kriegsgeschehen. Die Zustimmung dürfte aber schwinden, sobald schmerzhafte Einzelheiten bekannt werden. Am Donnerstag räumte Jelzins Kanzleimitarbeiter Igor Schabdurasulow erstmals öffentlich Fehler ein, „für die wir die moralische Verantwortung übernehmen müssen“. Und Verteidigungsminister Sergejew warnte die aufmüpfigen Generäle: „Es gilt, weder auf dem Schlachtfeld und schon gar nicht in den Medien Emotionen zu zeigen. Die Sprachkultur muss korrigiert werden, und das werden wir tun“. Lenkt der Kreml ein oder ist es nur ein taktisches Manöver vor dem OSZE-Gipfel nächste Woche in Istanbul, der sich ausführlich mit den Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien befassen wird?

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