piwik no script img

Die Brücke ins Nirgendwo

SPD und Grüne haben Sparpaket und Familienentlastung verabschiedet. Nun kommen Zweifel auf, ob der „Brückenschlag“ wirklich in die Zukunft führt    ■ Von Christian Füller

Berlin (taz) – Peter Strucks Rede plätschert so dahin, bis ihn ein Zwischenruf aus der CDU aufschreckt. „Wie lautet die Botschaft?“, wollen genervte Oppositionsabgeordnete vom Fraktionschef der SPD wissen. „Was die Botschaft ist?“, blafft Struck zurück. Seine kahle Stirn läuft rot an, er ist auf einmal sehr wach: „Die Botschaft heißt, wir sichern die Solidarität zwischen Jung und Alt.“ Damit hat Struck die prägende Formel an diesem Freitag im Bundestag gesetzt: Generationengerechtigkeit.

Rot-Grün will die Kernstücke des „Zukunftsprogramms 2000“ verabschieden. Ein Gesetzesbündel, das nicht nur die Zukunft der Republik, sondern auch die der Regierung Schröder sichern soll: Die große Familienentlastung zählt dazu, eine Steuerbereinigung und ein Haushaltssanierungsgesetz. Letzteres soll dafür sorgen, dass das Bundesbudget des Jahres 2000 tatsächlich um 30 Milliarden Mark kleiner ausfällt, als es noch vor einem Jahr vorgesehen war.

Weil der Begriff „Sparpaket“ den Rot-Grünen nicht positiv genug erscheint, hat man ein anderes Bild ersonnen: Im Berliner Reichstag wird heute eine Brücke in die Zukunft geschlagen.

Und so gehen die Brückenbauer ans Werk: Der grüne Fraktionschef Rezzo Schlauch richtet die Rentenanpassung entlang der Preissteigerung zu einem Brückenpfeiler der Generationengerechtigkeit auf. Die heutigen Rentner müssen sich bescheiden, damit für die künftigen wieder Spielraum da ist. Schlauchs Parteifreund Klaus Müller stellt den zweiten Pfeiler Familienförderungsgesetz dazu – es entlaste das Leben mit Kindern spürbar (siehe auch Text unten). Und Hans Eichel, der Finanzminister, spielt den Oberbaumeister. Wie seit Wochen hämmert er die Kennziffern der Haushaltssanierung in die Köpfe. 1,5 Billionen Mark Schulden habe die Regierung von ihren Vorgängern übernommen, 82 Milliarden Mark Zinszahlungen jährlich. Daher sei es dringend nötig, die Neuverschuldung zu drücken, um die Handlungsfähigkeit des Staates wiederherzustellen.

Sparen bei den Rentnern, mehr Geld für Kinder und Familien, Sparen für den Staat – fertig ist der rot-grüne Brückenschlag. Und er überzeugt, im Prinzip jedenfalls, auch die Opposition. „Zu diesem Kurs“, nickt der letzte FDP-Wirtschaftsminister Günter Rexrodt zustimmend in die Reihen von SPD und Grünen hinein, „gibt es keine Alternative.“ Auch Christa Luft, die letzte Wirtschaftsministerin der DDR, stimmt zu, dass man den von Helmut Kohl und Theo Waigel hinterlassenen Schuldenberg abtragen muss.

So weit ist man sich einig. Aber die unausgesprochene Frage lautet: Wo ist der Anschluss an die Brücke, und wohin führt das Bauwerk? Vor allem die Genossen von der PDS sind es, die nachdenkliche Fragen stellen. Wie sieht die Zukunft einkommensschwacher Haushalte aus, wenn, wie geplant, der Bund aus dem pauschalierten Wohngeld aussteigt? Wie geht es weiter mit der Arbeitslosenhilfe, möchte Klaus Grehn wissen. Dem Arbeitslosenaktivisten in den Reihen der PDS schwant, dass die Regierung da eher weitere Einschnitte plant, anstatt eine echte Reform vorzulegen.

Und selbst die Sorge um freie Künstler und Journalisten wächst sich zu einer grundsätzlichen Kritik am Sparpaket aus: Die Regierung, schimpft die FDP-Parlamentarierin Irmgard Schwaetzer, „kürzt den Zuschuss zur Künstlersozialkasse um 50 Millionen Mark – und entzieht so einem funktionierenden Sozialsystem den Boden“. Da schauen die Grünen, allen voran ihr Vormann Schlauch, ratlos: Wenn die sonst so blasse Ex-Ministerin Schwaetzer plötzlich überzeugend wirkt – könnte an der Kritik was dran sein?

Dieser Zweifel hat sich bei manchen Abgeordneten längst als beharrliches Unbehagen eingenistet. Ja, man wird dem Sparpaket zustimmen. Aber es müssen Reformen her, das Sparen muss auf die Wahlziele und das Programm der Regierungsparteien gründen. Dem Grünen Christian Ströbele etwa mag nicht in den Kopf, wieso ausgerechnet die früher so lustvoll bekämpften „staatlichen Repressionsapparate“ wie Bundesgrenzschutz und Verfassungsschutz verschont werden. Und bei grünen wie roten Sozialpolitikern steht die – verschobene – Neubestimmung des Existenzminimums ganz oben auf der Wunschliste.

Gestern haben die Rot-Grünen zunächst ihre Zukunftsbrücke im Reichstag gebaut: Sie beschlossen Sparpaket und Familienentlastungsgesetz. Und dann, so heißt es, habe man Hans Eichel, Rezzo Schlauch und Peter Struck hinter den Reichstag geführt. Dort überspannt, inmitten von Schutthalden und Baumaterial, eine wunderschöne Brücke die Spree. Ihr fehlen, leider, Zu- und Abfahrt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen