: Ehrhart, hilf uns!
■ Doch die Stoßgebete werden Krenz und Co. nichts nutzen. Die Forderung nach einer Begnadigung findet in Berlin wenig Gnade
Berlins Landespolitiker haben sich gestern von ihrer gnadenlosen Seite gezeigt. Der Wunsch nach einer baldigen Begnadigung des einstigen DDR-Staats- und Parteichefs Egon Krenz sowie der Politbüromitglieder Günter Schabowski und Günther Kleiber stieß bei CDU, SPD und Grünen auf Ablehnung. Auch gegen eine Vorzugsbehandlung für den reuigen Schabowski sprachen sich die Parteien aus, da das Urteil dessen Einsichtsfähigkeit bereits berücksichtige.
Am Wochenende hatten Bundespolitiker verschiedener Couleur an Justizsenator Ehrhart Körting (SPD) appelliert, einen solchen Gnadenakt zu vollziehen. Die schillernde Koalition reicht vom grünen Bundestagsabgeordneten Christian Ströbele über den SPD-Politiker Hans-Ulrich Klose bis zu den beiden CDU-Bürgerrechtlern Rainer Eppelmann und Vera Lengsfeld sowie dem CSU-Rechtsaußen Peter Gauweiler. Teils fordern die Akteure, Schabowski für seine Lernfähigkeit zu belohnen, teils warnen sie davor, Krenz in die Rolle eines Märtyrers zu drängen.
Der Bundesgerichtshof hatte in der vergangenen Woche die Urteile des Berliner Landgerichts gegen die drei Politbüromitglieder bestätigt, die sich wegen ihrer Mitverantwortung für die Mauertoten verantworten mussten. Für eine Begnadigung wäre der Justizsenator zuständig. Körting selbst war für eine Stellungnahme gestern nicht erreichbar.
Seine SPD-Parteifreundin Kerstin Flesch, rechtspolitische Sprecherin der Sozialdemokraten im Abgeordnetenhaus, sprach sich aber gegen eine Begnadigung aus. Wer nur wenige Tage nach dem Urteil über eine Begnadigung diskutiere, führe das Gerichtsverfahren „ad absurdum“, so Resch. Hätten die Verurteilten erst einmal einen Teil ihrer Strafe abgesessen, komme „nach einer angemessenen Zeit“ unter Umständen eine vorzeitige Freilassung in Betracht.
Auch CDU-Landesgeschäftsführer Matthias Wambach sagte der taz, es sei „jetzt nicht der Zeitpunkt, um über eine Begnadigung zu reden“. Es gebe offenbar „einige Leute, die mit der Gnade schneller sind als die Täter mit der Reue“. Die Gefahr von Märtyrerlegenden sieht Wambach nicht. „Wir sind nicht im Mittelalter“, sagte er.
Die bündnisgrüne Fraktionssprecherin Renate Künast hielte einen sofortigen Gnadenakt ebenfalls für ein „falsches politisches Zeichen“, solange die Opfer des SED-Regimes „noch nicht hinreichend rehabilitiert“ seien. Zunächst, so Künast, gehe es darum, auf Bundesebene beispielsweise durch eine höhere Haftentschädigung die „Schere zwischen Tätern und Opfern“ zu schließen.
Einzig die Sozialisten halten es für „sinnvoll“, die drei Verurteilten „nicht einzusperren“. Der PDS-Rechtspolitiker Michail Nelken betonte jedoch, er sei in dieser Frage „leidenschaftslos“. Der Schaden, den der „juristisch völlig unsinnige Prozess“ gegen Krenz, Schabowski und Kleiber dem Rechtsstaatsbewusstsein zugefügt habe, lasse sich durch eine Begnadigung jetzt nicht mehr korrigieren: „Das Kind ist im Brunnen.“ Er könne jedoch nicht sehen, welchem Strafzweck eine Inhaftierung der drei früheren SED-Politiker dienen solle, fügte Nelken hinzu. Die Gefahr von Wiederholungstaten bestehe jedenfalls nicht: „Ein Wegsperren macht keinen Sinn, es kostet nur Geld.“
Ralph Bollmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen