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■ Was sie sagten, warum und die Folgen: Jenninger, Juhnke, Matthäus

Wie reagiert die Gesellschaft auf welches sprachlich-geistige Vergehen? Und warum? Sucht sie Moral, Recht – oder einen Sündenbock? Fallbeispiele: * Philipp Jenninger war Bundestagspräsident, als er am 9. November 1988 zum 50. Jahrestag der Reichspogromnacht eine Rede hielt, die ihn Amt und Respekt der Gesellschaft kostete. Warum: Jenninger war es nicht gelungen, die Anführungszeichen in Nazi-Zitaten kenntlich zu machen. Der Inhalt wurde längst durch Ignatz Bubis' Wiederholung der damaligen Skandalrede rehabilitiert. Die persönliche Verarbeitung war schwierig. Langzeitfolgen: große.

* Harald Juhnke, Schauspieler, hatte in Los Angeles in betrunkenem Zustand einen schwarzen Wachmann mit den Worten beschimpft, bei Hitler sei „so etwas vergast“ worden. Warum: Juhnke hatte „auch keine Erklärung für mir zugeschriebene Äußerungen in Bezug auf Rassenfeindlichkeit.“ Probleme bei der Verarbeitung wurden nicht bekannt. Langzeitfolgen: keine. Wurde u. a vom damaligen Berliner Kultursenator Radunski entschuldigt. Die Öffentlichkeit konzentrierte sich auf die Vorfreude auf den nächsten Skandal. * Lothar Matthäus (38), Profifußballer. Sagte 1993 auf dem Münchner Oktoberfest zu einem Niederländer: „Dich hat wohl der Adolf vergessen.“ Warum: Schwer zu sagen. Die Verarbeitung war offenbar problemlos. Matthäus kann sich selbst nicht mehr erinnern und reagierte mit Unverständnis, als er unlängst in Holland ausgepfiffen wurde. Er dachte, man verwechsele ihn mit dem Elfmeterschinder Möller. Langzeitfolgen: keine. Ist heute in Deutschland ein hochgeschätztes Mitglied der Gesellschaft. Da die EM aber in den Niederlanden stattfindet, ist er als Feindbild des Publikums möglicherweise ein Risikofaktor für die deutschen Erfolgsaussichten.

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