Soll die Havel größer werden?

Umweltschützer bauen auf die Sparmaßnahmen der Bundesregierung: Havelausbau light wäre nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch sinnvoll, so der BUND. Bauarbeiten liegen hinter dem Zeitplan  ■   Von Lars Klaaßen

Winfried Lücking vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben: „Der ökologisch und ökonomisch unsinnige Ausbau der Havel kann zwar nicht völlig verhindert werden, aber vielleicht wird das Projekt ja nur in einer abgespeckten Version realisiert.“

Er und viele andere Kritiker des so genannten Projektes 17 Deutsche Einheit laufen bereits seit Jahren Sturm gegen den bereits begonnenen Ausbau der Wasserstraße von Hannover nach Berlin.

Auf einer Strecke von rund 280 Kilometern soll die Fahrrinne in Flüssen und Kanälen auf vier Meter, in Seen auf 3 Meter 50 gebracht werden.

Auch das 150 Kilometer umfassende Wasserstraßennetz Berlins soll entsprechend ausgebaut werden. Motorgüterschiffe bis zu einer Länge von 110 Metern und Schubverbände bis zu 180 Metern Länge mit einer Breite bis zu 11 Metern 40 und einem Tiefgang von 2 Metern 80 könnte der geplante Wasserhighway aufnehmen.

Die Vertiefung des Flusses, befürchten Umweltschützer, hätte schwerwiegende Folgen für das Ökosystem der Havel.

Die Restbestände der Auwiesen würden durch geringere Hochwasserstände ausgetrocknet, die Schilfgürtel an den Ufern durch verstärkten Wellengang in Mitleidenschaft gezogen. „Damit die Schubverbände die Strecke überhaupt passieren können“, so Lücking, „müssen die Radien der Flussbiegungen vergrößert werden.“

Das Konzept für das mit ursprünglich 5,4 Milliarden Mark veranschlagte Projekt geht auf den Bundesverkehrswegeplan von 1992 zurück. „Die Zahlen, die den Planungen zugrunde liegen, sind mittlerweile allerdings völlig überholt“, so Lücking. „Binnenschiffe transportieren vor allem Massengüter, und die werden in Berlin immer weniger benötigt.“

Ein beträchtlicher Teil der klassischen Industrie ist zusammengebrochen. Die Berliner Kraftwerke beziehen ihren Kohlebedarf nicht mehr ausschließlich aus dem Ruhrgebiet, sondern greifen auf billigere Ware aus Südafrika zurück – die wird aus Stettin an die Spree geschippert.

Darüberhinaus, rechnen die Kritiker dem Bund vor, seien die betreffenden Wasserstraßen nur zu 30 Prozent ausgelastet. Selbst bei steigendem Transportbedarf wäre eine beträchtliche Erhöhung der Kapazitäten also kein Problem.

Angesichts der von der Bundesregierung angestrebten Sparmaßnahmen sieht Lücking deshalb eine Chance, das bereits im Bau befindliche Projekt zumindest teilweise abwenden zu können.

„Wenn bei einer neuerlichen Prüfung die ökologischen Folgekosten berücksichtigt werden, stehen die ursprünglich anvisierten Milliardeninvestitionen zur Disposition.“

Tatsächlich klafft laut Bundesverkehrsministerium im alten Bundesverkehrswegeplan eine „Finanzierungslücke von 80 bis 90 Milliarden Mark“. Für das Jahr 2000 ist deshalb eine überarbeitete Fassung in Arbeit, während das „Investitionsprogramm 1999–2002“ bereits laufende Projekte sichern soll.

Doch Siegfried Scheffler, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, stellte in seiner Rede zum 50-jährigen Bestehen der Deutschen Binnenreederei am 1. Oktober unmissverständlich klar, dass an den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit nicht gerüttelt werde.

Ein Schwerpunkt liege definitiv beim Projekt 17 Deutsche Einheit, dem Havelausbau. Davon würden „rund zwei Drittel bis drei Viertel der Binnenschiffsflotte profitieren“. In den Ausbau des Wasserstraßennetzes werde der Bund im kommenden Jahr drei Milliarden Mark investieren.

Doch bis das gesamte Vorhaben tatsächlich in Beton gegossen ist, wird noch viel Wasser die Havel hinunterfließen: Die Spandauer Schleuse steht zwar bereits kurz vor der Fertigstellung und für die Charlottenburger Schleuse wurde soeben das Planfeststellungsverfahren eröffnet. Doch der Stand der Bauarbeiten liegt bislang weit hinter dem Zeitplan zurück.

Ursprünglich sollte das Gesamtprojekt 2010 fertiggestellt werden, „aber in Potsdam wird vor 2009 nicht mit den Arbeiten begonnen“, weiß Lücking.

Bis dahin bleibt noch reichlich Zeit, für verkehrspolitische Alternativen zu werben, die nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch überzeugen.