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Geschichten, die ich eben schrieb. IV: Der Spaziergang des Herrn Krimm    ■ Von Joachim Frisch

Träge schob sich die Sonne über die Türme der sieben Hauptkirchen Hamburgs und ließ das bunte Laub leuchten, Jollen segelten lautlos, Schwäne schaukelten sacht. Der Herr Krimm liebte diese Stimmung an der Alster. Er beschloss, spazieren zu gehen.

Kaum war er losspaziert, hob aber um ihn herum ein Gegrunze, Gekeuche und Gestöhne an, dass der Herrn Krimm sich an einen Zoo bei Anzug eines Gewitters erinnert fühlte. Doch nicht Raubkatzen und Pinguine, sondern erwachsene Männer – leitende Angestellte und Aufsichtsräte – zappelten und schnaubten und ächzten um den Herrn Krimm herum. Sie rannten und schlurften und röchelten und trugen rosa Strumpfhosen, in denen sie aussahen wie Till Eulenspiegel nach einer Fastenkur. Einige grinsten seltsam entrückt, was ganz und gar nicht zu ihrem würdelosen Gewatschel passte. Wahrscheinlich schüttete ihr Hirn die körpereigenen Drogen Cholecystokinin und Dopamin aus und bescherte ihnen den Flow, von dem Marathonläufer im Fernseher berichtetet hatten, dass er sich etwa bei Kilometer 37 einstelle, dachte der Herr Krimm.

Die Prokuristen aber legten schon nach jeweils 37 Metern Pausen ein, in denen sie herumfuchtelten, sich beugten, dehnten und streckten. Sie boten dem Herrn Krimm ein Bild des Jammers und das Odeur der Gemeinschaftsumkleidekabine eines Hallenbades. Wer nicht selbst hechelte und hetzte, hetzte seinen hechelnden Hundsköter auf die saftigen Wiesen, damit er diese vollscheiße.

Als Herr Krimm, angewidert vom postzivilisatorischen Körper- und Hundekult der Metropolenbewohner, bereits einen vorsätzlichen Alkoholrausch erwog, erschien zwischen zwei joggenden Hampelmännern eine alte Frau in würdevollem Gang, ohne Leine, ohne Hund, und schritt auf den Herrn Krimm zu. Als sie ihm gegenüberstand, reichte sie ihm eine große, schwere Tüte aus Papier und lächelte. Sie selbst hielt eine zweite große, schwere Tüte in der Hand, nahm ein Küchenmesser aus ihrer Handtasche, schnitt ihre Tüte unten auf, lächelte zufrieden und reichte dem Herrn Krimm das Küchenmesser. Der Herr Krimm tat es ihr gleich, und sogleich rieselten mehrere tausend Erbsen aus der Tüte, wie auch schon mehrere tausend Erbsen aus der Tüte der alten Frau gerieselt waren, und die Erbsen kullerten auf den Spazierweg an der Alster.

Die alte Frau und der Herr Krimm setzten sich auf eine Parkbank und beobachteten an der Stelle, an der sie die Tüten mit den Erbsen zerschnitten hatten, ein Gepurzel, dass es eine Art hatte. In immer kürzeren Abständen fielen Herren in bunten Jogginganzügen auf ihre Steißbeine, Nasen und Knie, manche blieben liegen und wurden später von Sanitätern abtransportiert, andere rappelten sich mühsam hoch, um sogleich erneut auf die Nasen zu plumpsen. Zuerst hörten der Herr Krimm und die alte Frau noch lautes Fluchen, mehr und mehr aber hörten sie nur mehr Heulen und Wehklagen.

Zwar war dies nicht die Stimmung, die der Herr Krimm sich für seinen Spaziergang erhofft hatte, doch immerhin gefiel ihm die Szenerie ungleich besser als diejenige vor dem Erbsengeriesel und -gerolle und Männergeplumpse, der Schadenfreude sei Dank, und der Herr Krimm dachte: Na also, warum denn nicht gleich so?

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