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Voyeurismus in Echtzeit

Kind der Midi-Generation und Berliner Däne: Raz Ohara hat ein Album veröffentlicht, das seine Plattenfirma „hammerrätselhaft“ nennt, andere aber mit den Werken von Prince vergleichen  ■   Von Andreas Hartmann

„Ich wollte die Platte nicht promoten, weil ich inzwischen anders fühle als zur Zeit der Aufnahmen“

Die erste Platte veröffentlicht auf Berlins hippstem Label, Vergleiche mit Prince: Das ist eigentlich der Stoff, aus dem Pop-Märchen gedrechselt werden. Doch der, um den es hier geht, Raz Ohara, 24-jähriger Däne und Wahl-Berliner, will noch nicht so recht. Das Label warnt während der Klärung eines Interview-Termins vor: „Äh, die Sache ist so, Raz ist zwar inzwischen bereit, Interviews zu geben, das Problem ist nur, dass er eigentlich seine Platte selbst nicht gut findet, was die ganze Sache ein wenig kompliziert macht.“ Aber das macht doch gar nichts, im Gegenteil, so etwas ist doch interessant, das verspricht endlich mal mehr als das sonst übliche Gemurmel von Künstlern, wie unglaublich innovativ und supertoll ihr Produkt doch sei.

Treffpunkt mit dem unartigen Musiker ist das Kitty-Yo-Office in Mitte. Ort des Geschehens: Eigentlich die Wohnung des Herrn Labelbesitzer, einen Stock über dem Office. Aber: Seine Mutti ist gerade zu Besuch, also ab in das „Village Voice“ um die Ecke. So viel zur Frage, was es mit den viel zitierten familiären Strukturen bei Kitty Yo auf sich hat.

Dort sitzt er dann schon, Raz Ohara, im Ganzkörper-Trainingsanzug und mit Wollmütze. Ein wenig Fieber hat er, aber es geht schon. Also, wie verhält sich das nun genau mit der Verweigerungshaltung der gepeinigten Künstlerseele? Raz Ohara: „Ich wollte die Platte nicht promoten, weil ich inzwischen ganz anders fühle als zur Zeit der Aufnahmen. Dementsprechend würde ich heute eine andere Musik machen. Erst langsam fange ich an, es sogar cool zu finden, dass die Platte draußen ist. Wenn es in zehn Jahren eine Chronologie von mir gibt, mit sechs Platten oder so, kann man sehen, wie ein Charakter sich verändert hat. Aber anfangs habe ich mich fast dafür geschämt, die Songs kamen mir billig und zu poppig vor, und ich habe mir gedacht: O mein Gott, wenn das die Leute hören und mit meinem Namen in Verbindung bringen! Was passiert dann mit mir? Ich hatte das Gefühl, dass ich mir damit jetzt schon alles verbauen würde, weil ich eigentlich ein ganz anderer Mensch bin und mittlerweile auch andere und bessere Musik machen kann.“

Viele, wahre Worte, denn wer kennt dieses Problem nicht? Wovon man gestern noch überzeugt war, wird morgen schon unter „Schwachsinn“ abgelegt oder zumindest bereitwillig in Frage gestellt. Und eine fertige Platte ist eben immer ein unveränderbares Produkt, die endgültige Form eines notwendigerweise irgendwann zu Ende gekommenen Arbeitsprozesses. Aber die Suche nach musikalischem Ausdruck geht eben weiter, und „in dem Alter, in dem ich mich befinde, ändert man sich nun mal schnell“, so Raz Ohara.

Als Musik-Rezipient blickt man jedoch erst mal nicht in den Kopf des Künstlers, sondern man beschäftigt sich mit der Platte. Und „Realtime Voyeur“ ist tatsächlich eine tolle Platte. Sanft funkiger Pop entfaltet sich auf ihr, die Stimme ist extrem sexy und voller Soul. Leicht künstlich und überkandidelt klingen die Songs, Raz Ohara ist im elektronischen Zeitalter angekommen und lässt seine Beats flockig pluckern. Die Instrumente auf der Platte hat er fast alle selber bedient, er ist eben ein „Kind der Midi-Generation“, wie er das nennt.

Multiinstrumentalist, Soul und Funk, das erinnert gleich auf mehreren Ebenen an Prince aka The Symbol. Aber Raz Ohara stellt gleich klar: „Es war für mich eine Überraschung, dass plötzlich die Leute an mich herangetreten sind und meinten, meine Musik würde sich anhören wie die von Prince. Da musste ich dann doch mal zu einem Freund gehen, der viele Prince-Platten hat, und ihm sagen, er solle mal eine davon laufen lassen. Und ich muss sagen, ich kann den Vergleich immer noch nicht ziehen. Aber vielleicht war es ja auch einfach die falsche Platte.“

Raz Ohara legt Wert darauf, festzustellen, dass er seine Musik in sich trägt und sie aus sich herausholt, dass sie seine Seele abbildet. Soul eben. Der Blick nach innen prägt auch seine alltäglichen Entscheidungen. Wenn er davon spricht, wie wichtig ihm Freiheit ist, nicht nur die künstlerische, nimmt man ihm das ab. Er sieht sich selbst als wandernder Musiker, als Troubadour, den es schon wieder weiter zieht. Vielleicht nach England, auch wegen der Musik. Berlin soll wie die Platte nur eine Station seines Lebens sein. Er redet von solchen Dingen genau so wie darüber, dass man einfach mal ruhig die Zeit anhalten sollte, „für ein Jahr oder so“, um mal wieder nachdenken zu können: Wohin soll es gehen, wollen wir mit dem ganzen Fortschrittswahn überhaupt?

Solche Fragen stellt sich Raz Ohara, der den Eindruck vermittelt, als sei er allem gegenüber skeptisch. Außer: Seinem Charakter. „Ich weiß, wie der ist, und der bleibt immer bei mir. Deshalb ist es egal, was ich als nächstes mache, es wird einfach immer cool sein, weil es immer ein Teil von mir sein wird.“ Und so dürfte Raz Ohara seine erste Platte irgendwann doch endgültig als sein Baby anerkennen. Er braucht halt einfach noch ein wenig Zeit.

Raz Ohara tritt heute nacht ab 1 Uhr (!) im Roten Salon der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz auf.

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