: Vermummungsverbot für Polizei ein Dilemma
■ Norbert Spinrath, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, über Berliner Ordnungshüter
taz: Die Berliner Studenten dürfen nicht als Weihnachtsmänner mit Bärten demonstrieren. Ist die Polizei humorfrei?
Norbert Spinrath: Es kann nur eine Demonstration ohne Bart geben. Alles andere wäre eine Vermummung. Es können sich auch Leute darunter gesellen, die wenig weihnachtlich gestimmt sind. Nach dem Demonstrationsrecht gibt es ein paar Grundsätze, und einer heißt: mit offenem Visier.
Als das Vermummungsverbot 1989 als Straftat eingeführt wurde, war die GdP nicht begeistert.
Das stimmt. Aber auch das Gegenteil stimmt: Wir waren nicht dafür, dass vermummt demonstriert werden darf. Das Problem ist, dass der Gesetzgeber der Polizei zu geringen Ermessensspielraum gelassen hat. Wenn sich in einer Menge von friedlichen Demonstranten drei vermummen, muss die Polizei diese laut Gesetzeslage eigentlich aus der Menge heraus holen. Und das unter Inkaufnahme, dass die friedliche Demonstration umkippt. Aber wenn die Polizei die Leute nicht herausholt, macht sie sich selber strafbar.
Hat sie sich schon strafbar gemacht?
Na ja, das ist ein Dilemma. Wir sehen unsere Hauptaufgabe darin, Gefahren abzuwehren und Lagen zu deeskalieren. Alles andere muss dem untergeordnet werden.
Heute gibt es bei Demonstranten immer weniger Randale. Sollte die rot-grüne Bundesregierung dieses Gesetz nicht abschaffen?
Gesetze erledigen sich auch dadurch, dass nicht gegen sie verstoßen wird. Wir sehen da im Moment keinen unbedingten Handlungsbedarf. Ich hoffe, dass die Schlachten endgültig der Vergangenheit angehören.
In Berlin ist der Ton der Polizei oft rau, und sie vergisst die Strategie der Deeskalation bisweilen.
Manchmal werden Situationen dramatisiert: „Also ich war völlig friedlich, und dann kommt so ein wild gewordener Polizist und ... “ Scherereien mit der Polizei bekommt man nicht nur, wenn man sich nicht an Recht und Gesetz hält, sondern auch nicht an die bestehende Ordnung. Außerdem ist der Berliner ein eigener Typus, der schnell auf hundertachtzig ist. Und auch die Polizisten sind Berliner. Grundsätzlich stellt die Polizei aber fest, dass ihr auch bei Straßenverkehrsdelikten immer weniger Respekt entgegen gebracht wird. Heute hat jeder Rechte, aber keine Pflichten mehr. Die Zahl der Beschwerden erhöht sich stetig, da die meisten eine Rechtsschutzversicherung haben und möglichst bis zum Bundesverfassungsgericht gehen wollen, um von gewalttätigen Maßnahmen der Polizei zu schwätzen. Wie in einer Ehe gehören aber immer zwei dazu. Interview: Annette Rollmann
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